Inside WikiLeaks
24 Stunden vor der Veröffentlichung noch mal bei der US -Regierung nachfragen lassen. Und sich im Anschluss bei der Regierung beklagt, dass man ihm nicht beim Redigieren hatte helfen wollen.
Die fünf beteiligten Medien waren also in einer herausgehobenen Position, um ihre Leserzahlen mit Hilfe der Cables in die Höhe zu treiben. Doch die Konkurrenz wollte schließlich auch ihre Artikel schreiben, Interviews führen und Filme drehen und versuchen, mit ihren Geschichten in Konkurrenz zu den Exklusivmedien am Kiosk zu bestehen. Was zu einigen reißerischen Formulierungen geführt hat, etwa beim Stern. Der hatte zwar eine sehr gute Geschichte zu Bradley Manning im Heft, machte aber auf mit einem Bild von ihm im Fadenkreuz und titelte über den Bericht: »Dieses Milchgesicht blamiert die USA «. Das war plump und rücksichtslos und von einer Qualität, die man eher von der Bild erwartete.
Die Medien brauchten zudem dringend Leute, die sie interviewen und zitieren konnten. Julian gab ja keine Pressekonferenzen mehr, die Schweden suchten ihn per internationalem Haftbefehl, er war untergetaucht. Anfragen an WL liefen ins Leere, weil der Mailserver immer noch nicht zu erreichen war.
Wer in dieser Zeit nicht alles zum WL -Experten wurde, war erstaunlich – oft reichte dafür, dass in der Vita irgendwas mit Internet stand. Der Blogger und Social-Media-Experte Sascha Lobo saß zum Beispiel bei Anne Will auf dem Sofa und diskutierte mit dem PR -Berater Klaus Kocks.
Und so fing am Tag des Release auch mein Telefon morgens um acht an zu klingeln und bimmelte zwölf Stunden später immer noch. »Hello, Moscow calling, Mr. Domscheit-Börg, are you available for interview today?« 30 Am Dienstag kamen die Japaner, am Donnerstag fuhr ich zu Stern- TV nach Köln, am Freitag zu einer schon lange angekündigten Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung nach Hamburg, wo bereits die Presse auf mich wartete. Man hat auf allen Kanälen versucht, mich zu erreichen. Die Journalisten mailten an das Facebook-Profil meiner Frau, riefen in der Pressestelle ihres Arbeitgebers an. Selbst der Italiener unten an der Ecke sollte helfen, Kontakte zu vermitteln.
Sie wollten einen Kommentar von mir. Und zumindest einige hätten am liebsten gehört, wie schlimm ich WL fände, jetzt, da ich doch ausgestiegen war, und dass ich Julian mal kräftig eine reinwürgte.
Natürlich wunderte ich mich ein wenig über die zahlreichen Unterstützer, die sich plötzlich zu ihrer glühenden Verehrung für Julian Assange bekannten. Das amerikanische Time Magazine hatte ihn im November auf seine Auswahlliste zur »Person des Jahres 2010« gehoben. Gewinnen sollte letztlich Mark Zuckerberg, der Gründer und Chef von Facebook. Auf Zuckerberg war die Wahl der Redaktion gefallen. Die Leser jedoch hatten Julian die meisten Stimmen gegeben, übrigens vor dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdog˘ an.
Zwiespältig sah ich die Aktionen der Leute, die bald nach dem Leak anfingen, die Website der Schweizer Postfinance, von Amazon , PayPal, Mastercard, Visa oder Moneybookers zu attackieren. Das waren Unternehmen, die plötzlich meinten, ihre Verträge als Dienstleister von WL nicht mehr ordentlich wahrnehmen zu müssen, nachdem das Projekt sich beim amerikanischen Außenministerium unbeliebt gemacht hatte. Federführend bei den Attacken waren wohl die Anonymous-Jungs. Die Kritik an den Unternehmen war berechtigt, und das war ihre Form – und auch einzige Möglichkeit –, sich politisch einzumischen. Die Netz-Attacken auf die schwedische Staatsanwaltschaft zeigten jedoch, dass man hier nicht sauber zu trennen vermochte.
Journalisten aus allen Ecken der Welt vereinigten sich, um Julian zu unterstützen, angeführt von Gavin MacFadyen vom Centre for Investigative Journalism. Der stellte das Statement der International Federation of Journalists auf seine Website: Die Federation sei »sehr besorgt um das aktuelle Wohlergehen« von Julian, denn »Assange sah sich gezwungen abzutauchen; gegen ihn läuft ein internationales Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs, er habe sich in Schweden der sexuellen Nötigung schuldig gemacht«.
Die australische Justiz prüfte nach der Veröffentlichung der Cables, ob man gegen Julian Anzeige erstatten sollte. Mehr als 4000 Menschen setzten ihren Namen unter einen Brief, der ursprünglich von 200 Politikern, Akademikern, Rechtsanwälten, Künstlern und Journalisten aufgesetzt worden war, um gegen diese Ermittlungen zu
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