Inside WikiLeaks
müsse. Er solle sich »wie ein Mann verhalten« und mal »die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen«. Der Architekt hat ihn ausgelacht und gesagt: »Der Zug ist abgefahren.«
Julian hat ja uns gegenüber mit seinen vielen neuen Mitarbeitern angegeben, seinen hundert neuen Pferden im Stall. Aber auch von denen war keiner in der Lage, das System wieder zum Laufen zu bringen. In Schweden hatte er angeblich 30 oder 35 Unterstützer, die ihm geholfen haben, zwei oder drei Wochen lang. Ich habe gehört, dass alle gegangen sind, weil es ihnen zu anstrengend mit Julian wurde.
Ich war zwar schon lange ausgestiegen und war bereits mit den Arbeiten an OpenLeaks beschäftigt, hatte zu diesem Zeitpunkt aber immer noch den Operator- Status im WL -Chat. Da las ich hin und wieder ein bisschen mit, aus Neugier. Trennungen im digitalen Leben, könnte man sagen, vollziehen sich viel weniger scharf als im echten Leben. Wer aus einem Fußballverein austritt, muss halt woanders bolzen gehen. Ich war immer noch im öffentlichen WL -Chat und konnte alle Gespräche mitlesen. Und weil ich Operator war, blieb ich im Chat, ohne, wie normale Gäste, nach zehn Minuten Inaktivität ausgeloggt zu werden. (Das war so eingestellt, damit sich dort niemand über längere Zeit unbemerkt aufhalten und heimlich zuhören konnte.)
Ich konnte dann zusehen, wie die Personalsituation bei WL auch dazu führte, dass der 17-Jährige aus Island zum Captain des Chats gemacht wurde: PenguinX war von da an erster Ansprechpartner für alle Leute, die in den öffentlichen WL -Chat kamen, um eine Frage zu stellen. Was ja nicht ganz ungefährlich ist, denn hier nehmen auch die Menschen Kontakt auf, die der Organisation Material übermitteln wollen. Das galt umso mehr, als die Mails immer noch nicht richtig funktionierten, da Julian sich geweigert hatte, das Entschlüsselungsmaterial einzugeben.
Potentielle Whistleblower müssen in dieser Situation dringend vor sich selbst geschützt werden. Sie müssen zum Beispiel daran erinnert werden, keine Informationen mitzuliefern, die sie identifizierbar machen oder andere Beteiligte gefährden könnten. In den öffentlichen Chats können ja alle mitlesen, die sich einloggen, ob das nun neugierige Spinner oder Profis vom Geheimdienst sind.
Nach meinem Ausstieg bekam PenguinX von Julian dann den Auftrag, eine Pressemitteilung zu schreiben. Darin sollte ich als bösartiger Deserteur verunglimpft werden. Damit war der 17-Jährige allerdings überfordert. Er kann überhaupt nicht gut schreiben. Und er kannte auch die Hintergründe nicht gut genug. Also hat er irgendeinen anderen der freiwilligen Helfer um Unterstützung gebeten, der sich im Chat herumtrieb. Und dieser eifrige Freiwillige wusste sich nicht anders zu helfen, als mich um Hilfe zu bitten. Er verstünde die ganze Situation nicht gut genug und wäre dankbar für ein bisschen Input. Da dachte ich: »Oh Gott, jetzt ist alles zu spät.« Und in den Händen dieser Profi-Truppe liegen Dokumente, die Julians Anwalt zufolge »thermonuklear« sein sollen.
Als mich die Nanny nach meinem Austritt das erste Mal kontaktierte, musste ich zustimmen, dass ich unser Gespräch nicht mitloggte. Gut, ich konnte einwilligen, dass ich keine Datei von unserem Chat speichern würde. Ich habe einfach ein Gedächtnisprotokoll geschrieben.
Ich denke, die Nanny ist wirklich kein bösartiger Mensch, aber wenn sie mir sagte, dass sie alle »glücklich machen« wolle, klang das in meinen Ohren etwas beunruhigend – oder wie aus einem schlechten Agentenfilm. Sie bot mir an, sie könnte sich dafür einsetzen, dass meine Person »in der Öffentlichkeit keinen Schaden« nähme. Ich bräuchte nur zuzustimmen, dass ich mich öffentlich nicht mehr kritisch über Julian oder das Projekt äußerte, und man könnte vielleicht im Gegenzug darauf verzichten, mich schlecht darzustellen. Ich antwortete ihr, dass ich ihre Formulierung ein bisschen bedrohlich fände. Nein, korrigierte mich die Nanny. Wenn sie tatsächlich drohen wolle, würde sie das nicht so unterschwellig machen. Das wäre nicht ihr Stil.
Den Architekten hat die Nanny mit einem regelmäßigen Gehalt zurückzugewinnen versucht. Nachdem auch Birgitta ausgestiegen war, wollte man sie eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben lassen. Julian hatte mir in den vergangenen Monaten offen damit gedroht, dass er kompromittierendes Material über mich gesammelt hätte. Er wollte überdies meine Mails veröffentlichen und damit mein wahres
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