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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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Ich – »The Real You« – ans Tageslicht bringen. Sollte er das doch bitte tun. Es mag komisch klingen, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Vielleicht bin ich dafür einfach zu normal.
    »I’m running out of options that don’t destroy people« 29  – mit diesen Worten hatte Julian Birgitta beauftragt, uns wieder auf Linie zu bringen. Das war kurz nach unserem Ausstieg. Der Ton klang entsetzlich, aber auf der anderen Seite machte mir diese Aussage wegen ihrer ganzen Überzogenheit auch keine Angst mehr. Das erinnerte mich ein bisschen an den Pentagon-Sprecher, der in seiner Rede anlässlich des Afghanistan-Leaks an uns appelliert hatte, das Richtige zu tun: »Do the right thing!« Was das wäre und mit welchen Konsequenzen wir zu rechnen hätten, wenn wir nicht das Richtige täten, hatte er dabei offengelassen. Solche Drohungen klingen vielleicht eindrucksvoll, sind aber trotzdem leer.
    Die Nanny reiste dann sogar nach Deutschland, um mich im Club aufzusuchen. Das war am 1. November, ein grauer Montag, sehr ungemütlich, der erste Tag, an dem wir in der Wohnung die Heizung aufdrehen mussten. Ich saß an dem großen Plenumstisch im Club, mit dem Rücken zur Wand und dem Blick zur Tür. So entdeckte ich sie gleich, als sie auf den Club zuspazierte, und sie mich auch.
    Sie hatte das Spiegel-Interview gar nicht gelesen.
    »Ich will das alles gar nicht wissen«, sagte sie. Sie lächelte freundlich. Ich lächelte zurück, so dass man ein bisschen Zähne sehen konnte.
    Als Nächstes kramte sie eine Liste hervor.
    »Das sind Punkte, die ich mit dir klären möchte.«
    »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte ich.
    »Access codes?«, las sie vor und guckte mich fragend an.
    Ich glaube, sie wusste selbst nicht, was das sein sollte, es klang einfach nur gut. Ich wusste jedenfalls nicht, was gemeint war, Passwörter? Ich hatte weder Passwörter noch sonst irgendwas. Ich habe ihr erklärt, dass das alles sauber übergeben wurde und dass es mir leid täte, dass Julian sie mit falschen Informationen losgeschickt hätte. Sie tat mir wirklich leid. Julian versorgte sie mit irgendwelchen Halbwahrheiten, und sie sollte dann alles wieder in Ordnung bringen.
    Ich erklärte ihr auch, warum ich nicht wollte, dass Julian zu diesem Zeitpunkt die Dokumente erhielte. Fände sie denn überhaupt, dass jetzt alles so ganz rund liefe bei WL , fragte ich. Darauf konnte sie mir keine Antwort geben.
    Sie schaute mich an, oder auch ein bisschen durch mich hindurch. Ich glaube, sie war erstaunt, als ich dann wirklich ging. Das war sie wohl nicht gewohnt. Ich nahm etwas anderes wichtiger als das Gespräch mit ihr?
    Ich wollte meine Agentin nicht länger warten lassen. Wir waren verabredet, um am Exposé für mein Buch zu feilen.
    »Sorry, ich muss jetzt weg«, wiederholte ich. Und das war’s.

Die amerikanischen Depeschen
und Julians Verhaftung
    Als Nächstes veröffentlichte WL die Cables , die diplomatischen Depeschen der amerikanischen Botschafter, die bereits zu meinen WL -Zeiten intern für einige Unruhe gesorgt hatten. Ich fragte mich, warum Julian es auf einmal so verdammt eilig hatte.
    Er begründete den Zeitdruck intern damit, dass der Isländer die Dokumente ja bereits weitergegeben hatte, was ihn nun zum Handeln zwänge – die Logik dahinter verstand keiner so recht. Ich erfuhr später, dass der Guardian das Material auch von der freien Journalistin Heather Brooke bekommen hatte. Heather hatte sich die Cables ja von dem Isländer auf die Festplatte gezogen. Und der Guardian hätte die Depeschen nun offensichtlich lieber unabhängig von Julian veröffentlicht. So machte die Geschichte Sinn. Es bestand die Möglichkeit, dass der nächste Leak ohne ihn an die Öffentlichkeit käme.
    Die Mehrheit des alten Kernteams hätte der Publikation zu diesem Zeitpunkt niemals zugestimmt. Es kursierten Gerüchte, dass es am letzten November-Wochenende passieren sollte.
    Ich war in dieser Zeit mit Anke und Jacob bei meinen Schwiegereltern in Brandenburg zu Besuch. Als ich am Freitag auf Spiegel Online einen Vermerk sah, dass die ePaper-Ausgabe »aus redaktionellen Gründen« nicht wie sonst am späten Samstagabend, sondern erst am Sonntagabend online gehen sollte, war die Sache klar. Ich fuhr zurück in unsere Berliner Wohnung, um aufzuräumen.
    Ich habe alles weggeschafft, was für einen Polizeibeamten auch nur im Entferntesten interessant ausgesehen hätte. Es gab natürlich ohnehin nichts, woran ein Ermittler Freude gehabt hätte, nicht einmal

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