Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
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Unmittelbar nach dem Schuß und dem Schrei stürzten Gristhorpe und Hatchley unter den Bäumen hervor und rannten über die Straße zum Haus. Unterdessen hatte Banks bereits Micks Hemd in Streifen zerrissen und ihm mit Jennys Hilfe eine Aderpresse angelegt.
«Was für eine Sauerei», sagte Banks, zurrte den Knoten fest und sah Jenny in die Augen. «Gut gemacht», lobte er sie, «obwohl ich für einen Moment dachte, daß Sie ihn zu sehr gereizt haben.»
«Das hab ich auch befürchtet. Ich wollte ihn eigentlich nur ein bißchen durcheinanderbringen und ihn wachrütteln. Der Junge war dermaßen high, daß er gar nicht gemerkt hat, was eigentlich vorging. Ich bin jedenfalls froh, daß Sie mein Signal verstanden haben.»
Banks hörte die Kollegen über die Treppe zum Haus stürmen und trat ans Fenster, um Entwarnung zu geben. Kurze Zeit später brach das übliche Chaos aus. Alles redete durcheinander, stellte Fragen, gab Anweisungen an die Streifenwagen, rief nach der Ambulanz und der Spurensicherung - und niemand kam auf die Idee, die Stereoanlage auszuschalten, aus der soeben Toscas Klage ertönte:
Neil'ora del dolore - perché, perché, Signor, Perché me ne rimuneri cosí?
Inmitten des hektischen Trubels schaltete Banks für einen Augenblick ab, um die vertrauten Worte in sich aufzunehmen: In dieser Stunde meiner höchsten Qual/ Warum, himmlischer Vater/ Warum hast du mich verlassen?
«Gute Arbeit, Alan», lobte Gristhorpe, Banks aus seinem Hörgenuß reißend. «Alles in Ordnung?»
«Bestens.»
«Sie sehen etwas blaß aus.»
«Das passiert mir immer, wenn man mir eine Waffe vor die Nase hält.»
Gristhorpe schaute auf Mick herunter. «Wenn sich jede Waffe so verhalten würde wie diese, wär's bestimmt besser bestellt um diese Welt. Ich bin kein besonders frommer Mensch, wie Sie wissen - das ist wohl der schädliche Einfluß meiner methodistischen Erziehung -, aber vielleicht ist Gott doch mitunter zur Stelle, wenn er gebraucht wird.»
Banks sah hinüber zu Jenny, die soeben einem Constable berichtete, was sich zugetragen hatte. «Sie war jedenfalls zur Stelle.»
Er teilte Gristhorpe mit, was mit Sandra passiert war, und bat um die Erlaubnis, nach Hause fahren und die Formalitäten auf später verschieben zu dürfen.
«Selbstverständlich», erklärte Gristhorpe. «Warum haben Sie mir das nicht schon früher gesagt? Sind Sie sicher, daß mit ihr alles in Ordnung war?»
«Nun, sie war ein bißchen aufgeregt, aber ziemlich gefaßt. Richmond ist bei ihr.»
«Dann nichts wie weg mit Ihnen», sagte Gristhorpe und gab Banks einen sanften Stoß in den Rücken.
Es war unwiderruflich Zeit, Sandra gegenüberzutreten.
Auf dem Weg zur Tür sah er Jenny, die man inzwischen vergessen zu haben schien, völlig zusammengesunken, das Gesicht in den Händen, auf dem Sofa sitzen. Er blickte sich noch einmal im Zimmer um - die kalte Abendluft wehte durch das zerbrochene Fenster, der Fußboden war übersät von Glassplittern, der Tisch voller Blut.
«Jenny», sagte er sanft und streckte die Hand aus, «kommen Sie mit.»
Sie folgte ihn wortlos zum Wagen, und auf dem Weg nach Hause berichtete er ihr, was Sandra unterdessen hatte durchmachen müssen.
«Glauben Sie, daß es richtig ist, wenn Sie mich jetzt mitnehmen?» fragte sie.
«Um offen zu sein, Jenny - ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, aber ich konnte Sie doch nicht einfach dort sitzen lassen. Machen Sie sich keine Sorgen, der Superintendent wird dafür sorgen, daß man alles wieder in Ordnung bringt.»
«Ich glaube, ich hätte wirklich nicht dort bleiben können», meinte Jenny schaudernd. «Wahrscheinlich hätte ich mir für heute ein Hotel genommen. Das kann ich immer noch. Ich hätte nicht mitkommen dürfen.»
«Seien Sie nicht albern.»
Er verstummte für den Rest der Fahrt.
Schließlich hielten sie vor seinem Haus und hasteten über den Plattenweg zum Eingang. Im gleichen Augenblick flog die Tür auf. Banks zuckte zusammen, als Sandra auf ihn zustürzte, aber zu seiner großen Erleichterung warf sie ihm die Arme um den Hals, vergrub das Gesicht an seiner Schulter und stammelte schluchzend:
«Alan! Alan! Gott sei Dank, daß dir nichts passiert ist!» Beruhigend streichelte er ihr übers Haar. «Keine Angst, es ist alles in Ordnung. Komm, wir gehen rein. Ich könnte einen Drink brauchen.»
Richmond sprang
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