Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
oder an einem Strand. Das ist nicht dasselbe, als wenn sie sich allein glauben, in ihrem Schlafzimmer zum Beispiel. Außerdem sind die Motive unterschiedlich, wir tun es zu künstlerischen Zwecken und nicht deshalb, um uns sexuell zu stimulieren.»
«Ich bin nicht sicher, ob der Unterschied immer so deutlich ist», meinte Robin. «Im übrigen hast du selbst ja wohl diese Idee aufgebracht.»
«Welche Idee?»
«Daß es ein Mitglied unseres Klubs sein könnte - daß wir alle irgendwie Voyeure sind.»
Norman verfärbte sich und griff nach seinem Glas. «Ja, das hab ich. War wohl kein besonders komischer Einfall.»
«Ach, ich weiß nicht», meinte Sandra, «ich könnte mir Jack Tatum gut vorstellen, wie er gerade in andrer Leute Schlafzimmer guckt.»
Harriet schüttelte sich. «Genau. Jedesmal wenn er einen ansieht, hat man das Gefühl, er guckt durch die Kleider hindurch.»
«Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß unser Spanner viel weniger kompliziert ist», erklärte Sandra. «Es scheint ziemlich oft vorzukommen, daß Leute, die die absonderlichsten Dinge tun, in Wirklichkeit ein ganz normales Leben führen.»
«Ich vermute, daß die Frau eines Polizisten weiß, wovon sie spricht», sagte Robin.
«Auch nicht mehr als alle anderen, die imstande sind, ein Buch zu lesen. Schließlich gibt es doch jede Menge Literatur über den Yorkshire Ripper, über Dennis Nilsen, Brady und Hindley, oder etwa nicht?»
«Du willst doch wohl hoffentlich nicht andeuten, daß unser Spanner genauso gefährlich ist, oder?» fragte Norman.
«Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es verdammt seltsam ist, so etwas zu tun, und daß ich nicht verstehen kann, was jemanden dazu treibt.»
«Vielleicht versteht er es selbst nicht, was meinst du?» erkundigte sich Robin.
«Mag sein», antwortete Sandra. «Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum er Harriet leid tut, nicht wahr, meine Gute?»
«Du bist ein Ekel», erklärte Harriet und setzte sich mit ein paar Spritzern Bier mit Zitrone zur Wehr.
Nachdem Sandra die nächste Runde bestellt hatte, wechselte das Gespräch auf die bevorstehende Exkursion nach Swaledale und die kürzlich stattgehabte Ausstellung im Nationalmuseum für Fotografie in Bradford. Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander, Sandra brachte Harriet nach Hause und fuhr dann selbst heim. Zu ihrer Überraschung ertönten keine Opernklänge aus dem Vorderzimmer, als sie in die Einfahrt schwenkte. Ein wenig verärgert, stellte sie fest, daß Brian und Tracey immer noch vor dem Fernsehapparat saßen und sich einen sehr gewagten Film ansahen. Es war kurz vor elf, und Alan war noch nicht zurück.
* 2
Wenn man sich die Täler von Yorkshire wie die Finger einer gespreizten Hand vorstellt, findet man Eastvale am Mittelfinger, nicht weit von dessen Spitze. Der Ort liegt an den östlichen Ausläufern des Swaindale, eines langgestreckten Tals, das im Westen mit steil abstürzenden Wasserfällen beginnt, den Biegungen des Flusses folgt und sich nach Osten immer mehr zu einem weiten Wiesenland ausdehnt. Verwaschene Steinwälle schlängeln sich kreuz und quer durch die Flußniederungen, wie seltsame, archaische Schriftzeichen, über die grasbestandenen Hänge bis an die jäh aufsteigenden, weiten Klippen, den «Sears», wie man hierzulande sagt. Oberhalb dieser «Narben» erstreckt sich eine wilde, unbewohnte Moorlandschaft mit gelbem Stechginster und violettem Heidekraut und einem Muster aus schmalen Pfaden, auf denen die Schafe entlangziehen und der Wind dahinbraust. Der Fels besteht überwiegend aus Kalkstein, dessen grauweiße Bruchstellen wie Falten oder Narben aus den steilen Hängen ragen, die Farbe wechselnd nach dem Wetter und mitunter aufblitzend wie Perlenbänder unter Kerzenlicht. Hier und da drängen sich dunklere Schichten von Kies an die Oberfläche, und in einem verlassenen Steinbruch zeigen sich Lagen von Schiefer und Sandstein.
Eastvale selbst ist ein belebter Marktflecken mit etwa vierzehntausend Einwohnern, der sich vom östlichen Rand des Swaindale über die Hänge erstreckt bis zur Flußbiegung - an der der Swain nach Südwesten weiterfließt zum Ouse -, auf dem Gipfel des Castle Hill seinen höchsten Punkt erreicht, sich terrassenförmig nach unten windet und sich hinter dem Fluß und den Eisenbahnschienen verliert.
Eastvale ist zweifellos ein malerischer Ort; es hat einen Marktplatz mit Kopfsteinpflaster, einem hohen,
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