Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
alten Kreuz und einer typisch normannischen Kirche; es bietet Wasserfälle, die von dichten Bäumen beschattet sind, düstere Schloßruinen und diverse Ausgrabungen aus der vorrömischen Zeit. Aber es hat auch Seiten, die der Tourist selten oder nie zu Gesicht bekommt, wie etwa das Viertel von East Side, eine Siedlung von Sozialbauten, die in den sechziger Jahren entstanden und seither dem Verfall überlassen sind.
Ein Besucher in einem der blühenden Gärten am westlichen Ufer des Swain wäre sicher sehr verwundert gewesen über manche der Vorgänge, die sich auf der anderen Seite des Flusses abspielten. Jenseits der Pappeln und der Uferzeile renovierter Altbauten aus der georgianischen Ära erstreckt sich dort ein etwa fünfzig Meter breiter Streifen baumbestandener Wiesen, der sogenannte Grüngürtel. Dahinter liegt die Siedlung East Side.
Inmitten der graffiti-beschmierten Fassaden, der ausrangierten Kinderwagen und Autoreifen, der streunenden Hunde und verwahrlosten Schmuddelkinder proben die Bewohner der überfüllten Sozialsiedlung das Überleben nach dem Zusammenbruch der beiden einzigen Erwerbsquellen, die die Stadt neben dem Tourismus zu bieten hatte - eine Spinnerei am nordwestlichen Flußrand und eine Schokoladenfabrik am östlichen Ende des Ufers. Manche von ihnen führen ein ruhiges, friedvolles Familienleben, bleiben ganz für sich und versuchen, mit der Sozialhilfe zurechtzukommen. Andere sind erbittert und gewalttätig, ein bunter Haufen von Totschlägern, Säufern und Drogensüchtigen, von Männern, die ihre Frauen prügeln und ihre Kinder mißbrauchen. Den sogenannten «East-Side-Beat» zu ziehen - wie die Zuteilung des Streifendienstes in dieser Region im Polizeijargon heißt - ist eine gefürchtete Pflicht, der sich die meisten jungen Constables mit allen Mitteln zu entziehen versuchen.
Selbstverständlich hatte es vor der Errichtung dieses sozialen Gettos die üblichen Proteste gegeben, doch die sechziger Jahre hatten ganz im Zeichen optimistischer, zukunftsweisender Ideen gestanden, und so waren die Wohnsilos schließlich hochgezogen worden. Auch die politische Korruption verzeichnete in dieser Ära eine neue Blüte, die Stadträte erholten sich scharenweise an fernen Stränden auf Kosten diverser Vertragsunternehmer, und Mengen von steuerfreien Schwarzgeldern wechselten den Besitzer. Unterdessen mußten sich die Mieter, die man in die Terrassenblocks, die Wohntürme und Maisonnette-Appartements gepfercht hatte, mit papierdünnen Zimmerwänden, unzureichenden Heizungen und lecken Installationen herumschlagen. Trotzdem glaubten sie, das große Los gezogen zu haben - immerhin lebten sie jetzt auf dem Land, in gesunder Luft.
Mitten durch die Siedlung, von Nord nach Süd, verlief die Strekkenführung der Eisenbahn. Die Schienen waren eigens auf einen hohen Damm verlegt worden, der den Fahrgästen einen reizvollen Ausblick bot auf die nach hinten gelegenen Gärten mit ihrem wildwuchernden Grün, den buntgetünchten Reihen von Lauben und Kaninchenställen. Hier und da führten ein paar schmale Tunnel unter der Trasse hindurch, um die beiden Hälften des Stadtviertels zu verbinden, und in einem dieser Tunnel standen Trevor Sharp und Mick Webster, rauchten ihre Zigaretten und sprachen übers Geschäft.
Die Anwohner hatten der Unterführung den Namen «SchnüffelSchlauch» gegeben, in Anbetracht der unzähligen Plastiktüten, die in dem schmalen Gang herumlagen. Es war ein finsterer Ort, nur an einem Ende beleuchtet von einer gelbsüchtigen Straßenlaterne, erfüllt von einem mörderischen Gestank nach Klebstoff, Hundepisse und kalter Kotze. Es war ein Ort, den die Einheimischen nach Möglichkeit mieden.
Wie immer man Mick Webster auch bezeichnen mochte - ein Schnüffler war er nicht. Natürlich hatte er's auch mit Klebstoff versucht - wie mit allen anderen Drogen -, war aber zu dem Ergebnis gekommen, daß das Zeug nichts taugte; es knallte einem nur den Kopf zu, und man bekam Pickel, wie Lenny. Nicht daß Lenny schnüffelte, nein, aber er stopfte sich zu viel von diesen fettigen Fisch-und-Chips rein. Mick hielt es lieber mit den kleinen roten Pillen, von denen Lenny immer die Taschen voll hatte; nette Dinger, die das Herz ordentlich ankurbelten und ihm ein Gefühl gaben wie Superman. Tatsächlich war er ein vierschrötiger, sechzehnjähriger Rüpel mit Skinheadbürste, Boxernase und einem permanenten blöden Grinsen. Wer ihn kommen sah, zog es vor, die Straßenseite zu
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