Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
die Kinderzimmer lagen nach vorn, wie er bei einer seiner früheren Erkundungen an den Wandbemalungen erkannt hatte. Er wußte auch, daß sie immer als erste zu Bett ging, während ihr Mann gewöhnlich unten im Vorderzimmer blieb und noch eine Weile Musik hörte oder die Zeitung studierte.
Warum dauerte es nur so lange heute? Die beiden waren schon vor einer halben Stunde nach Hause gekommen, aber hier oben rührte sich nichts. Endlich ging das Licht im Schlafzimmer an, und er bezog seinen Posten vor dem Spalt unter den Vorhängen. Die Frau band ihr glattes blondes Haar hinten zusammen, faßte auf den Rücken nach ihrem Reißverschluß, zog ihn langsam nach unten, ließ das schwarze, seidig schimmernde Kleid über ihre blassen Schultern auf den Teppich gleiten, hob es vom Boden auf und hängte es sorgsam in den Schrank.
Da stand sie nun. Er sah das dunkle V des Brustansatzes im BH, die einladende Einwärtsbiegung der Taille und darunter die sanft geschwungene Wölbung der Hüften. Alles an ihrer Figur war sanft und leicht; die Proportionen stimmten, nichts war übertrieben. Es war genau der Körper, auf den er gewartet, der die ersten Gefühle in ihm geweckt und sich ihm seither immer entzogen hatte. Mit wachsender Erregung verfolgte er, wie sie sich vor den Frisiertisch setzte und das Make-up entfernte, bevor sie sich weiter auszog. Planvoll und konzentriert fuhr sie mit den Wattebäuschen über ihr Gesicht, wie die Frau in seiner Erinnerung. Beinahe unbewußt begann er sich zu reiben, sah ihr zu und wünschte sich, sie möge nie aufhören, möge so weitermachen bis in alle Ewigkeit. .
Schließlich stand sie auf und zog ihr Nachthemd unter einem der Kissen hervor. Mit dem Gesicht zum Fenster hakte sie ihren BH auf, und er sah, wie sich ihre kleinen Brüste ein wenig tiefer senkten, als sie den Halter entfernte. Er rieb unentwegt, schneller und schneller, und dann geschah es. Das, worauf er gewartet hatte: Sie entdeckte ihn.
Die Bilder rollten wie in Zeitlupe vor ihm ab. Der Moment, wo sie den BH ablegte, und dann, im nächsten Moment, der plötzliche Schock in ihren Augen, als sie ihn erblickte, der Ausdruck von Entsetzen, der sich über ihr Gesicht verbreitete wie vergossene Milch auf einem Tisch. Und dann war es soweit, der Höhepunkt war da, und sein ganzer Körper wand und schüttelte sich im Orgasmus. Eine Sekunde später war er bereits vom Dach heruntergerutscht, ließ sich auf den Boden fallen und schoß durch die Zaunlücke, bevor sie noch Zeit gehabt hatte, die Vorhänge zu öffnen.
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Sandra konnte nicht genau sagen, warum und zu welchem Zeitpunkt ihr schlagartig klar wurde, daß man sie beobachtete. Es war ein plötzliches Gefühl gewesen, das Gefühl, nicht allein zu sein. Und als sie hochschaute, entdeckte sie ein Auge, ein seltsam körperloses Auge, das wie losgelöst in der Vorhanglücke zu schweben schien. Sie schrie nach Alan, während sie gleichzeitig zum Fenster stürzte, die Vorhänge aufriß und eben noch einen Blick auf eine Gestalt in einem dunklen Regenmantel erhaschte, die durch das Loch im Zaun davonhuschte und über den rückwärtigen Fußweg verschwand.
Banks kam die Treppe hochgerannt, ließ Sandra nach kurzem Zögern bei den Kindern, die von ihrem Schrei wach geworden waren, und übernahm die Verfolgung. Die schmale Allee lag verlassen da, und es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Als erstes lief er bis zur Einmündung der Hauptstraße, konnte aber niemanden entdecken. Danach wandte er sich mit langsamen und leisen Schritten in die andere Richtung und verwünschte sich im stillen, nicht den Weitblick gehabt zu haben, eine Taschenlampe mitzunehmen. Angestrengt suchte er das Dunkel ab, aber nirgendwo rührte sich ein Schatten, und so lautlos er auch dastand, kein Atmen, kein Rascheln war zu hören. Sein einziger Erfolg bestand darin, eine Katze aufzuscheuchen, die plötzlich quer über den Weg schoß und ihm fast einen Herzanfall verursachte.
Er ging bis zum anderen Ende, wo ein schmaler Durchlaß in den angrenzenden Park führte. Dahinter war es pechschwarz, und es hatte keinen Sinn, die Suche fortzusetzen. Wer immer der ungebetene Besucher gewesen war, die Dunkelheit hatte ihn verschlungen, ihm einen weiteren Sieg ermöglicht. Fluchend versetzte Banks dem wackligen Zaun einen kräftigen Tritt und stürmte zurück ins Haus.
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* 1
Am Samstag morgen stand Banks, wie versprochen, hoch oben an den Zinnen des Castle und
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