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Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln

Titel: Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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blickte über sein «Land» oder seine «Güter», wie man in London zu sagen pflegte. Es war ein frischer Tag mit klarer Sicht, die Wolken waren verschwunden, der Himmel hatte sein tiefes, sommerliches Azurblau verloren und strahlte in einem lichteren, eisigeren Blau, als habe die Kälte des nahenden Winters sich bereits den Weg gebahnt.
      Banks betrachtete das lebhafte Treiben auf dem Marktplatz zu seinen Füßen. Das Gedenkkreuz und die Kirche mit ihrem quadratischen Turm wirkten fast ein wenig verloren zwischen den provisorischen Holzbuden und dem Meer von Farben, das an solchen Tagen auf dem Markt zu blühen pflegte. Der Busbahnhof im Osten stand voll von roten Linienbussen, und auf dem angrenzenden Parkplatz ragte das Grün und Weiß der Reisebusse aus den zwergenhaft kleinen Personenwagen heraus. Touristengruppen schlenderten umher, die gelben und roten Anoraks bis zum Kragen geschlossen, um sich vor dem überraschend kühlen Wind zu schützen. Auch Banks hatte seine dicke Jacke bis oben hin zugeknöpft, und die Kinder trugen weite Ponchos über ihren Wollpullovern.
      Für Tracy war das Eastvale Castle stets ein Stück lebendiger Geschichte, ein ehrwürdiges elisabethanisches Schloß, in dem angeblich Mary Stuart, die schottische Königin, eine Zeitlang gefangengehalten worden war und wo irgendein Richard oder Henry vorübergehend Hof gehalten hatte. In Tracys Vorstellung wandelten schöne Hofdamen über die hallenden Galerien und wisperten sich Geheimnisse aus den königlichen Gemächern zu, während sich Grafen und Barone auf üppigen Banketten mit ihren anmutigen Frauen im Rhythmus der Gaillarden und Pavanen drehten.
      In Brian rief dieser Ort eher die Erinnerung an die barbarischen Seiten der Geschichte wach. Für ihn war es eine Festung, von der die alten Britannier kochendes Öl auf die Häupter der römischen Eroberer geschüttet hatten, eine finstere Zitadelle mit dunklen Verliesen, in denen verzweifelte Gefangene mit Daumenschrauben, Streckbank und der Eisernen Jungfrau gefoltert worden waren.
      Sie lagen beide nicht ganz richtig. Tatsächlich war das Castle von den Normannen erbaut worden, etwa um die gleiche Zeit wie sein berühmteres Pendant Richmond; es war wie dieses aus Steinen errichtet und hatte ebenfalls einen ungewöhnlich massiven Burgfried.
      Während die Kinder durch die Ruinen streiften, schaute Banks hinab auf die Dächer der Stadt, auf das Schachbrettmuster aus roten Dachpfannen und walisischen Schieferschindeln. Er folgte den Umrissen der Hügel, die sich nach Westen zu hohen Ketten und schroffen Gipfeln emporschwangen und sich nach Osten in sanften Wellenlinien in einer weiten Ebene verloren. Allenthalben waren die Bäume bereits mit den rostigen Farben des Herbstes überzogen, wie auf dem Bild in seinem Wandkalender.
      Weiter vorn konnte er die Randbezirke der Stadt ausmachen jenseits des Flusses die beiden häßlichen Wohntürme der Neubausiedlung East Side, die sich darunter ausbreitete, bis sie sich in den Feldern verlor; im Westen Gallows View, das seinen dunklen, knorrigen Finger in Richtung Swainsdale reckte. Zum Norden hin schien sich die Stadt zu gabeln, entlang der Zinken zweier Straßen, von denen die eine in die nördlichen Dales und zu den Seen führte, die andere nach Tyneside und zur Ostküste. Jenseits dieser älteren Wohngebiete waren nur noch vereinzelte Bauernhöfe und ein paar abgelegene Weiler zu erkennen.
      Banks betrachtete die weite Aussicht, ohne sie wirklich aufzunehmen. In Gedanken war er immer noch bei den Ereignissen des vergangenen Abends. Er hatte keine Anzeige über den Vorfall gemacht, und das nagte an seinem Pflichtgefühl. Andrerseits war er mit Sandra zu dem Ergebnis gekommen, daß es wahrscheinlich noch weit peinlicher und lästiger war, wenn die Sache bekannt wurde. Man brauchte keine sonderliche Phantasie, um sich die Schlagzeilen und das Gerede vorzustellen. Trotzdem war ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen, und er fragte sich, wie viele andere sich wohl genauso wenig in der Lage gesehen hatten, der Polizei von ähnlichen Vorfällen zu berichten. Solange Frauen immer noch Schwierigkeiten hatten, ein Verbrechen wie Vergewaltigung anzuzeigen, wie viele mochten dann erst darauf verzichten, über ihre Begegnung mit einem Spanner zu berichten?
      Für Banks lagen die Dinge allerdings noch komplizierter. Er war Polizist und von daher verpflichtet, ein Beispiel zu geben und sich buchstabengetreu an das Gesetz zu halten.

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