Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
Superintendent Gristhorpe ihm diese Aufgabe zugeteilt, weil er selbst keinerlei Verlangen danach hatte, der Abgeordneten Honoria zuzuhören. Wenn man ihn danach fragte, beschrieb sich Banks als gemäßigten Sozialisten, aber Politik langweilte ihn und Politiker machten ihn meistens wütend.
Gelegentlich blinzelte er nach links oder rechts und bemerkte dabei die wachsamen Blicke der Bodyguards neben sich, die jeden Moment eine terroristische Aktion zu erwarten schienen. Da er ihre wahren Namen nicht kannte, hatte er sie Chas und Dave getauft. Chas war der massige Typ mit den wässerigen Augen und der aufgedunsenen, roten Nase. Dave war mit dem hageren und hungrigen Äußeren eines Tory-Ministers gesegnet. Wenn jemand aus dem Publikum auf seinem oder ihrem Stuhl hin- und herrückte, eine Hand vor den Mund legte, um ein Husten zu unterdrücken, oder nach einem Taschentuch griff, ließen entweder Chas oder Dave die Hand unters Jackett zum Schulterhalfter gleiten.
Das ist alles so blödsinnig, dachte Banks. Wenn jemand Honoria Winstantley töten wollte, dann wegen der einschläfernden Rede, die sie auf das Publikum losließ. Auf der Liste der gängigen Mordmotive stand dieser Punkt ganz weit unten, doch jeder vernünftige Richter würde einen solchen Mörder ohne Zweifel freisprechen.
Während das Publikum applaudierte, hielt Ms. Winstantley inne und trank einen Schluck Wasser. »Und ich sage Ihnen allen«, fuhr sie äußerst pathetisch fort, »dass zu gegebener Zeit, wenn die Maßnahmen unserer Politik wirksam geworden sind und jede Spur von Sozialismus ausgemerzt wurde, alle Unstimmigkeiten beigelegt sein werden, und der Norden, diese wertvolle Wiege der Industriellen Revolution, tatsächlich genauso aufblühen wird wie der Rest unseres ruhmreichen Landes. Es wird wieder ein vereinigtes Königreich sein, vereinigt unter dem Banner des Unternehmergeistes, der Leistung und der harten Arbeit. Hier in Eastvale können Sie bereits erleben, wie es passiert.«
Banks legte eine Hand vor den Mund und gähnte. Er schaute nach links und sah, dass Chas derart angetan war von Honoria, dass er für einen Moment vergessen hatte, ein Auge für die IRA, die PLO, die Baader-Meinhof-Gruppe und die Roten Brigaden offen zu halten.
Dafür, dass kürzlich Mitglieder derselben Regierung dem Norden gesagt hatten, er solle aufhören, über die Arbeitslosigkeit zu jammern, da die meisten Probleme den armseligen Essgewohnheiten seiner Bewohner zuzuschreiben waren, kam die Rede gut an, dachte Banks. Doch bei einem Publikum, das fast ausnahmslos aus Mitgliedern der regionalen Konservativen Fraktion bestand - hauptsächlich kleine Geschäftsleute, Bauern und Grundbesitzer -, war solch eine uneingeschränkte Begeisterung nur zu erwarten. Die Anwesenden besaßen eine Menge Geld und außerdem ernährten sie sich bestimmt auch gut.
Es wurde noch heißer und stickiger, aber die Abgeordnete Honoria zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Ganz im Gegenteil erging sie sich in einem Exkurs über Aktienbesitz, was in ihren Worten so klang, als könnte jeder Engländer über Nacht zum Millionär werden, wenn die Regierung nur weiterhin staatliche Industriezweige und Behörden privatisierte.
Banks brauchte eine Zigarette. Erst vor kurzem hatte er wieder versucht, das Rauchen aufzugeben, allerdings vergeblich. Da in seinem Revier kaum etwas los war und Sandra und die Kinder fort waren, hatte er seinen Konsum sogar gesteigert. Sein einziger Fortschritt bestand darin, von Benson & Hedges Special Mild zu Silk Cut gewechselt zu sein. Er hatte irgendwo gehört, dass der Markenwechsel der erste Schritt dahin war, ganz mit dem Rauchen aufzuhören. Unglücklicherweise schmeckte ihm mittlerweile die neue Marke besser als die alte.
Als Honoria auf die Notwendigkeit der Erhaltung, ja der Ausweitung der amerikanischen Militärpräsenz in Großbritannien zu sprechen kam, rutschte er unruhig auf seinem Stuhl umher. Chas sah ihn herausfordernd an. Banks begann sich zu fragen, ob dieser letzte Exkurs vielleicht nur ein Umweg gewesen war, um auf das Thema zu kommen, das die vielen Anwesenden hören wollten.
Es hatte Gerüchte gegeben über ein Atomkraftwerk an der Küste jenseits des Moores von North York, nur sechzig Kilometer von Eastvale entfernt. Mit Sellafield im Westen war das selbst für einige der eher rechts gesinnten Einheimischen ein Kraftwerk zu viel. Schließlich konnte Radioaktivität eine ziemlich scheußliche
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