Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
Zahnfleischgrinsen. Oben auf den Stufen konnte man ihn auch problemlos ausmachen. Vor den Türen gab es am meisten Licht. Und Seth befand sich in den ersten Reihen der Menge. Als sich Polizisten und Demonstranten im Handgemenge näher kamen, erkannte Seth die Nummer auf Gills Schulteraufsatz und ...«
»Mein Gott!«, sagte Zoe. »Das war also ...«
»Was?«
»Als die Polizei begann, uns anzugreifen, stand ich neben Seth, ganz vorne, und dieser Polizist ging sofort auf eine Frau los, die auf der anderen Seite neben mir stand. Sie sah ein bisschen so aus wie du, Mara.«
»Was passierte dann?«, fragte Banks.
»Ich konnte es nicht richtig erkennen. Ich hatte Angst und wurde weggeschubst. Aber ich schaute hoch zu Seth, und er hatte so einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Es war ... ich kann es nicht richtig beschreiben, aber er war bleich und sah ganz anders aus ... voller Hass.«
Stumm verdauten alle, was Zoe erzählt hatte. Damals konnte sie es nicht wissen, doch was Seth gesehen hatte, war eine Wiederholung, ein Widerhall dessen, was mit Alison passiert war. In diesem Lichte, dachte Banks, erschien Seths Tat nur noch verständlicher. Er war weit über die Grenze des Tragbaren getrieben worden.
»Liz Dale hat Ihnen alles über seinen Hintergrund erzählt?«, meinte Mara schließlich.
»Ja. Plötzlich ergab alles einen Sinn: Seths Verhalten, das Messer, die Nummer, die Bücher.«
»Wenn ... wenn Sie Liz früher gefunden und mit ihr gesprochen hätten, hätte das Seth gerettet?«
»Das glaube ich nicht. So einfach ist die Sache nicht. Erst die Ausführung des Verbrechens hat ihn fertig gemacht. Wenn er nicht mit Glück unbehelligt aus der Demo herausgekommen wäre, hätte er vielleicht schon früher Selbstmord begangen. Ich nehme an, zuerst glaubte er, er könnte mit seiner Tat leben, aber als die Ermittlung im Gange war, merkte er, dass er es nicht konnte. Ich glaube auch nicht, dass er eine Gefängnisstrafe verkraftet hätte, und er wusste, dass wir ihn kriegen würden. Die Informationen von Liz haben nur Klarheit geschaffen und das Motiv verdeutlicht.
Außerdem ist Liz ein schwieriger Mensch. Zunächst einmal lebt sie ziemlich weltfern und hat kaum einen Bezug zur Realität. Von der Demo und dem Mord an Gill wusste sie nichts. Und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie mir etwas über Seth erzählt hätte, wenn ich ihr nicht gesagt hätte, dass er tot ist. Ich hätte dann wahrscheinlich nicht mal gewusst, welche Fragen ich stellen sollte. Ich suche nicht nach Ausreden, Mara. Bei diesem Job machen wir Fehler, und für die muss meistens jemand büßen. Aber Sie alle haben uns belogen, Sie sind uns ausgewichen und feindselig begegnet. Auf beiden Seiten gibt es Gutes und Schlechtes. Man darf nicht zurückschauen und fragen, was wäre wenn. Das führt zu nichts.«
Mara nickte langsam. »Glauben Sie, dass Seth Recht hatte?«
»Womit?«
»Dass Gill verantwortlich für Alisons Tod war.«
»Ich glaube, das ist sehr wahrscheinlich, ja. Ich habe auch mit dem Polizeiarzt darüber gesprochen, und er ist der gleichen Meinung. Aber mit Bestimmtheit werden wir es nie wissen. Liz Dale lag allerdings falsch, Alison wurde nicht ermordet. Gill mag kein guter Polizist gewesen sein, aber er hatte nicht vor, sie zu töten.
Aber sehen Sie es mal mit Seths Augen. Auf die schrecklichste Art und Weise hat er alles verloren, was ihm lieb war. Und er hat es durch einen Mann verloren, der die Macht, die der Staat ihm gab, missbrauchte. Seth wuchs in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren auf. Er war antiautoritär geprägt und er verlor seine Frau und sein ungeborenes Kind durch einen Repräsentanten einer in seinen Augen unterdrückenden Autorität. Kein Wunder, dass er schließlich zurückschlagen musste, besonders wenn man sich vor Augen führt, was Zoe erzählt hat. Andernfalls wäre er wohl irgendwann verrückt geworden. Ich glaube, deshalb hat er damals sein Testament gemacht. Denn seit er wusste, was Alison zugestoßen war, was der wahre Grund für ihren Tod war, veränderte sich alles für ihn. Er war nicht mehr sicher, ob er sich weiterhin unter Kontrolle haben würde. Er wollte dafür sorgen, dass Sie das Haus bekommen.«
Mara bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und begann zu weinen. Zoe ging zu ihr, um sie zu trösten, und die Kinder starrten sie erschrocken an. Paul und Rick schienen auf ihren Plätzen angewurzelt zu sein. Banks
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