Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
mit seinem Kopf in einer Schlinge wiederfindet.«
Banks erinnerte sich an seine ersten Gefühle gegenüber Hatchley. Diese Bemerkung, die so typisch für ihn und auch für die ausgebrannten, zynischen Londoner Polizisten war, von denen Banks damals wegkommen wollte, ließ diese Gefühle wieder aufflammen.
Früher hätte Banks Hatchleys Ansicht munter zugestimmt. Manchmal, auch jetzt, teilte er sie in gewissem Sinne immer noch. Es war unmöglich, über jemanden wie Chivers nachzudenken und sich vorzustellen, was er mit Carl Johnson - wenn er es war - und vielleicht mit Gemma Scupham getan hatte, ohne ihn am Galgen baumeln sehen oder, um es auf die persönliche Ebene zu ziehen, ihn eigenhändig erwürgen zu wollen. Wie jeder, der über den Fall in den Zeitungen gelesen hatte, wie jeder; der selbst Kinder hatte, konnte Banks sich leicht dem empörten Klischee anschließen, dass die Todesstrafe für solche Menschen wie Chivers noch viel zu gut wäre. Aber noch schlimmer war, dass er nicht wusste und nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, was er tun würde, wenn er Chivers jemals in die Hände bekommen sollte.
Es war der immer wiederkehrende Konflikt: Auf der einen Seite standen die nackten, primitiven Rachegelüste, das aus dem Bauch kommende Gefühl, dass jemand, der getan hatte, was Chivers getan hatte, es nicht länger verdiente, ein Mitglied der menschlichen Gemeinschaft zu sein, und durch seine abscheulichen Taten sein Lebensrecht eingebüßt hatte; und auf der anderen Seite existierte das Gefühl, dass man sich durch eine solche Reaktion, für wie gerecht man die gesellschaftlich sanktionierten Tötungen auch halten mochte, auf eine Stufe mit dem Täter stellte und damit die Überzeugung untergrub, dass man vielleicht mehr Erkenntnisse erzielte, wenn man ein solches Wesen erforschte, als wenn man es zerstörte, und man mit diesem Wissen möglicherweise verhindern helfen konnte, dass in der Zukunft weitere Menschen wie Chivers heranwuchsen. Für Banks gab es in diesem Konflikt keine einfache Lösung. Die beiden Standpunkte kämpften um die Vorherrschaft; an manchen Tagen siegte die nackte Wut, an anderen gewann eine Art nobler Humanismus die Oberhand.
Anstatt auf Hatchleys Bemerkung einzugehen, verlangte Banks die Rechnung und zündete sich eine Zigarette an. Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen - vielleicht noch kurz Mitsuko Uchidas Interpretationen von Mozarts Klaviersonaten anzuhören und sich an Sandra zu kuscheln, wenn sie zu Hause war.
»Ach ja«, seufzte Hatchley. »Dann muss ich wohl zurück zu den Schwiegereltern.« Er griff in seine Tasche, holte eine Packung extrastarke Pfefferminzbonbons hervor und steckte sich einen in den Mund. »Dann werde ich mal wieder in die Bresche springen, liebe Freunde ...«
* IV
Die Gunst des Schicksals, auf die Banks gehofft hatte, stellte sich am nächsten Morgen um ungefähr halb sieben ein. Wie meistens, wenn es das Schicksal gut mit der Polizei meinte, war es eher das Resultat harter Schufterei und unermüdlicher Observation als irgendeine großzügige Geste einer allmächtigen Gottheit.
Das Telefon weckte Banks aus einem zusammenhanglosen Traum voller Wut und Frustration. Im Dunkeln tastete er nach dem Hörer. Neben ihm rührte sich Sandra und murmelte im Schlaf.
»Sir?« Es war Susan Gay.
»Mmm«, brummte Banks.
»Tut mir Leid, dass ich Sie aufwecke, aber man hat ihn gefunden. Poole.«
»Wo ist er?«
»Auf dem Revier.«
»Wie spät ist es?«
»Halb sieben.«
»In Ordnung. Rufen Sie Jim Hatchley bei Carols Eltern an und sagen Sie ihm, er soll herkommen. Aber halten Sie ihn außer Sichtweite. Und ...«
»Den Superintendent habe ich bereits angerufen, Sir. Er ist auf dem Weg.«
»Gut. Ich komme so schnell wie möglich.«
Sandra drehte sich um und seufzte. Banks kroch so leise er konnte aus dem Bett, nahm seine Sachen, die er über einen Stuhl gehängt hatte, und ging ins Badezimmer. Noch war er nicht imstande, das Gefühl abzuschütteln, das der Traum in ihm zurückgelassen hatte. Wahrscheinlich lag es an dem Streit, den er mit Tracy gehabt hatte, nachdem er vom Essen mit Hatchley nach Hause gekommen war. Eigentlich war es gar kein richtiger Streit gewesen. In dem Versuch, ihr gegenüber mehr Verständnis aufzubringen, hatte er lediglich eine Bemerkung darüber gemacht, wie schön es doch wäre, dass sie mal zu Hause bei der Familie sei, woraufhin sie in Tränen ausgebrochen und
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