Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
hoch in ihr Zimmer gestürzt war. Sandra hatte ihm einen bösen Blick zugeworfen und war ihr hinterhergeeilt. Schließlich stellte sich heraus, dass ihr Freund wegen einer anderen mit ihr Schluss gemacht hatte. Aber woher hätte er das denn wissen sollen? Alles veränderte sich so schnell. Und sie erzählte ihm ja in der letzten Zeit überhaupt nichts mehr.
Nachdem er sich geduscht und angezogen hatte, ging er hinaus zu seinem Wagen. Noch dämmerte es nicht; der Wind hatte sich gelegt, der Himmel war jedoch bedeckt und trübe metallisch grau, nur im Osten lag ein dunkelrotes Band über dem Horizont. Zum ersten Mal in diesem Jahr konnte Banks seinen Atem sehen. In manchen Häusern brannte bereits Licht und die Frau im Zeitungsladen an der Ecke von Banks' Straße und der Market Street sortierte die Zeitungen für die Zusteller.
Im Revier wäre ein Außenstehender nie auf die Idee gekommen, dass es noch so früh am Morgen war. Unter dem Neonlicht ging der Betrieb rund um die Uhr weiter. Nur ein Polizist spürte diese Stimmung des Schichtwechsels, wenn die Constables der Nachtschicht sich wieder in Zivil kleideten, um nach Hause zu gehen, während die Beamten und Beamtinnen der Tagschicht ausgeruht, frisch rasiert oder geschminkt hereinkamen.
In der ersten Etage, wo die Beamten der Kriminalabteilung ihre Büros hatten, war es ruhiger. Sie mussten nicht im Schichtdienst arbeiten, ihre Dienstzeiten variierten abhängig von der Arbeit, die sie zu tun hatten. Mit einem Mordfall und einem vermissten Kind hatte die vergangene Woche bei jedem ihre Spuren hinterlassen. Richmonds Augen waren vom zu langen Starren auf den Computerbildschirm rot und Susan Gay hatte dunkelblaue Augenränder.
»Was ist los?«, wollte Banks von ihr wissen.
»Ich war gerade eingetroffen«, erzählte sie. »Ich konnte nicht schlafen, deshalb bin ich um sechs hergekommen, um mir die Laborberichte noch einmal anzusehen. Und da haben sie ihn gebracht. Sie haben ihn ein paar Kilometer die Straße nach Helmthorpe runter in einem Graben schlafend gefunden.«
»Gott«, sagte Banks, »das muss kalt gewesen sein. Wo ist er?«
»Im Vernehmungszimmer. Constable Evans ist bei ihm.«
»Und Sergeant Hatchley?«
»Der ist kurz vor Ihnen gekommen. Er ist auf seinem Posten.«
Banks nickte. »Warten wir auf den Superintendent.«
Gristhorpe traf fünfzehn Minuten später ein und sah frischer als alle anderen aus. Sein Haar war zwar wie gewöhnlich völlig verstrubbelt, aber seine unschuldigen blauen Augen glänzten so aufmerksam und forsch wie immer.
»Dann wollen wir ihn uns mal vorknöpfen«, sagte er händereibend. »Alan, würdest du das Gespräch führen? Du kennst ihn am besten. Lass mich das Monster im Hintergrund spielen.«
»Gut.«
Sie gingen zu dem kleinen Vernehmungszimmer. Bevor sie eintraten, bat Banks Richmond, ihnen eine große Kanne Tee zu bringen.
Der triste Raum schien mit den vier Männern überfüllt zu sein, zudem war die Heizung zu hoch eingestellt. Constable Evans setzte sich in die Ecke ans Fenster, bereit, mitzuschreiben. Banks nahm gegenüber Poole Platz und Gristhorpe im rechten Winkel von ihnen an der Stirnseite des Tisches.
Poole fuhr mit der Zunge über seine Lippen und schaute sich im Zimmer um.
»Sie sehen aus, als wären Sie rückwärts durch eine Hecke gezogen worden, Les«, sagte Banks. »Was ist passiert?«
»Ich habe draußen gepennt. Wo hätte ich denn hingehen sollen?«
Er war unrasiert, seine Lederjacke war abgewetzt und verdreckt, sein fettiges Haar zerzaust und verfilzt. Außerdem hatte er ein blaues Auge und eine aufgesprungene Lippe. Der Tee wurde hereingebracht. Banks spielte den Fürsorglichen und reichte Les einen großen, dampfenden Becher. »Hier, trinken Sie«, forderte er ihn auf. »Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie schon Frühstück gehabt.«
»Danke.« Poole hielt den Becher mit beiden Händen.
»Woher haben Sie Ihre Kriegsverletzung?«
»Von dem Scheißgesindel, woher sonst? Ich müsste eigentlich geschützt werden.«
»Vor Ihren Nachbarn?«
»Allerdings.« Er zeigte auf sein Gesicht. »Das haben die angerichtet, bevor ich abhauen konnte. Ich bin ein Opfer. Ich sollte sie anzeigen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Banks. »Aber später. Zuerst müssen wir ein paar Dinge klären.«
Poole runzelte die Stirn. »Ach. Welche zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, warum Sie
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