Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
einmal vor allem, dass er die Kontrolle über sich selbst verliert. Nach dem, was du mir erzählt hast, muss Chivers einmal eine unglaublich organisierte Persönlichkeit und im hohen Maße kontrolliert gewesen sein. Aber Psychopathen sind auch hochgradig labil. Sie neigen zum Zusammenbruch. Seine Persönlichkeit könnte sich zu einem chaotischen Typen hin wandeln und jetzt könnte er sich genau in der Mitte dieser Entwicklung befinden, in der Phase, wo alles durcheinander gerät. Die meisten Serienmörder zum Beispiel töten, bis sie geschnappt werden oder völlig den Bezug zur Realität verlieren. Das ist der Grund, warum kaum welche von ihnen über vierzig sind. Bis dahin sind sie entweder gefasst worden oder sie sind hoffnungslos verrückt geworden.«
Banks drückte seine Zigarette aus. »Willst du sagen, dass Chivers zu einem Serienmörder werden könnte?«
Jenny zuckte mit den Achseln. »Nicht unbedingt, aber es ist möglich, oder? Er passt nicht ins allgemeine Bild eines Pädophilen und befindet sich auf jeden Fall in einem Stadium der Veränderung. Ja, das ergibt einen Sinn, Alan. Ich behaupte nicht, dass es so sein muss, aber es entspricht eindeutig den Informationen, die du mir gegeben hast.«
»Und jetzt?«
Jenny schauderte. »Das kann ich auch nur raten. Was auch immer es ist, du kannst dir sicher sein, dass es nicht besonders angenehm sein wird. Wenn er gerade in der Phase steckt, wo er die Kontrolle allmählich verliert, dann wird er wahrscheinlich impulsiv und unberechenbar sein.« Sie trank ihr Glas aus. »Deshalb gebe ich dir einen guten Rat.«
»Und zwar?«
»Wenn das alles stimmt, dann sei sehr vorsichtig. Dieser Mann ist eine tickende Zeitbombe. Er ist sehr gefährlich. Vielleicht sogar gefährlicher, als du dir bewusst bist.«
* III
»Mein Glückwunsch«, sagte Banks. »Wirklich, Jim. Ich freue mich für Sie. Warum haben Sie mir das denn nicht schon früher erzählt?«
»Ja, äh ... wir waren nicht sicher.« Sergeant Hatchley wurde rot. Typisch für einen Mann aus Yorkshire, dem es schwer fiel, Gefühle auszudrücken.
Die beiden saßen in dem großen, mit Eiche vertäfelten Speisesaal des Red Lion Hotels, einem gewaltigen Gebäude beim Kreisel am Südrand von Eastvale. Hatchley sah jetzt schon wieder etwas gesünder aus als bei seiner Ankunft am Nachmittag. Da konnte man seinen Augen und seiner Haut noch die Spuren eines Katers ansehen, jetzt aber hatte er seine normale rötliche Gesichtsfarbe und diesen Erzähl-mirnoch-einen-Witz-Blick in seinen blassblauen Augen wiedererlangt. Für ein paar Augenblicke wurde sein Gesicht nun allerdings noch etwas röter und seine Augen füllten sich mit Stolz. Banks gratulierte ihm zur Schwangerschaft seiner Frau. Sie erwartete ihr erstes Kind.
»Wann ist es so weit?«, wollte Banks wissen.
»Keine Ahnung. Dauert das nicht normalerweise neun Monate?«
»Ich habe nur gedacht, dass der Arzt Ihnen einen Termin genannt hat.«
»Carol vielleicht. Aber mir hat sie nichts gesagt. Das ist ein prächtiges Stück Fleisch.« Er schnitt von seinem erstklassigen Roastbeef ab und spülte den Happen mit einem Schluck Theakston's Bitter hinunter. »Ah, tut gut, wieder zu Hause zu sein.«
Banks aß Lamm und trank Rotwein. Nicht, dass er eine Abneigung gegen Theakston's Bitter entwickelt hätte, aber das Red Lion servierte einen anständigen roten Bordeaux, und es wäre eine Schande, ihn zu übergehen. »Sie betrachten Eastvale immer noch als Ihr Zuhause?«, fragte er.
»Ich bin hier aufgewachsen«, antwortete Hatchley mit dem Mund voller Yorkshire-Pudding. »Das hat man im Blut.«
»Wie gefällt Ihnen die Küste?«
»Es ist in Ordnung da. Der Sommer war gut.« Sergeant Hatchley war hauptsächlich deshalb nach Saltby Bay zwischen Scarborough und Whitby versetzt worden, damit Phil Richmond auf der Karriereleiter nach oben klettern konnte. Hatchley war ein guter Sergeant und würde es immer bleiben; Richmond dagegen, vermutete Banks, würde es wahrscheinlich mindestens zum Chief Inspector bringen, seinem eigenen Dienstgrad, und vielleicht noch weiter, wenn er auf der Höhe mit der neuesten Computertechnologie blieb und noch etwas mehr Initiative und Führungsqualitäten entwickelte. Susan Gay, die erst seit neuestem Constable in der Kriminalabteilung war, bewies eine Menge Initiative, die allerdings nicht immer zum beabsichtigten Ziel führte.
»Höre ich da einen Anflug von Heimweh
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