Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
verging, wuchs der Druck. Einige Eltern waren verängstigt und hatten ihre Kinder bis auf weiteres aus der Schule genommen. Seit Gemma verschwunden war, hatten Polizeikräfte in der gesamten Region Hausbesuche unternommen und Durchsuchungen von Brachland und entlegenen Gebieten durchgeführt. Überraschenderweise war bisher noch nichts ans Licht gekommen. Es sah so aus, als wäre Gemma vom Erdboden verschwunden. Obwohl er von dem Fall wegbeordert worden war, wusste Banks, dass er sich auf dem Laufenden halten musste. So leicht konnte er Gemma Scupham nicht vergessen.
Für einen Moment schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, die beiden Verbrechen könnten in irgendeiner Weise miteinander verbunden sein. Dass in Swainsdale zwei schwere Delikte zu ungefähr der gleichen Zeit passierten, war äußerst selten. Sollte das reiner Zufall sein? Im Augenblick kam er mit dieser Frage nicht weiter, er würde sie aber im Hinterkopf behalten.
Seine erste Aufgabe bestand darin, die Leiche, die sie gefunden hatten, zu identifizieren. Bestimmt war es möglich, ein Foto zu veröffentlichen, manchmal halfen auch die Etiketten in der Kleidung weiter. Dann gab es medizinische Merkmale wie Operationsnarben und Muttermale sowie das Zahnschema. Wenn der Mann aus der Gegend stammte, war es ziemlich leicht, solchen Informationen auf den Grund zu gehen; war er jedoch ein Fremder, war es praktisch unmöglich. Banks hatte bereits Constable Gay losgeschickt, um Nachforschungen in Gratly und Relton anzustellen, den der Mine nächstgelegenen Dörfern, aber er erwartete sich nicht viel davon. Bestenfalls hatte jemand vielleicht einen Wagen in Richtung Mine fahren gesehen.
Auf der Kreuzung von Market Street und Marktplatz, genau vor dem Queen's Arms, hatte sich ein roter Transporter breit gemacht. Wütende Autofahrer begannen zu hupen. Ohne sich um die ärgerlichen Touristen zu kümmern, lud der Fahrer des Transporters seelenruhig Kartons mit Strumpfhosen und Damenunterwäsche aus. Ein Mann stieg aus und marschierte zu ihm.
Banks wandte sich vom Fenster ab und überdachte den Tatort an der Bleimine. Das Opfer war wahrscheinlich in der Schmelzhütte ermordet worden, an einem abgelegenen Ort also. Seine Taschen waren geleert und seine Leiche war im Rauchabzug versteckt worden, der wegen der Gefahr durch herabfallende Steine nur selten betreten wurde. Man konnte also davon ausgehen, dass der Mörder die Leiche so lange wie möglich unentdeckt wissen wollte. Da die meisten Spuren in einer Ermittlung nach den ersten vierundzwanzig Stunden auftraten, war das nur zu verständlich. Aber die Leiche war wesentlich früher entdeckt worden, als der Mörder es erwartet hatte, was Banks möglicherweise einen Vorteil verschaffte.
Gerade als Banks sein Büro verlassen wollte, um sich frischen Kaffee zu holen, klingelte das Telefon. Es war Vic Manson aus dem gerichtsmedizinischen Labor nahe Wetherby.
»Sie sind aber schnell«, staunte Banks. »Was haben Sie denn?«
»Glück. Wollen Sie wissen, um wen es sich handelt?«
»Sie wissen es schon?«
»Tja. Ich würde es ja gerne auf brillante Schlussfolgerungen zurückführen, aber es war reine Routine.«
»Fingerabdrücke?«, mutmaßte Banks. Die wurden im Labor als Erstes überprüft, und obwohl die Fingerabdrücke der meisten Menschen nirgendwo aktenkundig waren, so waren es doch die von vielen. Mal wieder Schwein gehabt.
»Richtig. Er hat in Armley gesessen. Hat versucht, eine alte Dame um ihre Ersparnisse zu bringen, allerdings war sie cleverer als er. Sein Name ist Carl Johnson. Er stammt aus Bradford, lebte aber seit ungefähr einem Jahr quasi vor Ihrer Haustür: Calvin Street Nr. 59, Apartment 6.«
Banks kannte die Straße. Sie befand sich im nordöstlichen Teil von Eastvale, die großen, alten Häuser dort waren in billige Wohnungen unterteilt worden.
»Sie können sich seine Akte aus dem Computer ausdrucken lassen«, schlug Manson vor.
»Danke, Vic. Werde ich machen. Bleiben Sie am Ball!«
»Habe ich vielleicht eine andere Wahl? Wir sind bis zum Hals mit Arbeit eingedeckt. Aber ich melde mich bei Ihnen, wenn wir mehr herausgefunden haben.«
Banks eilte in Richmonds Büro. Richmond saß vor seinem Computer und tippte gerade etwas ein, sodass Banks wartete, bis er an einer Stelle war, wo er eine Pause machen konnte. Dann erklärte er ihm, was Vic Manson herausgefunden hatte.
»Kein Problem«, sagte Richmond. »Lassen Sie mich nur
Weitere Kostenlose Bücher