Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
wollte. Ein warmer Körper, der sie hielt und liebte, würde ihr helfen, die schlimmen Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, die nicht aufhörten, sie zu quälen.
Es stimmte, sie hatte Gemma nicht gewollt. Aber so etwas kam vor. Sie hatte ihr Bestes gegeben. Am Anfang war so viel zu tun gewesen: Windeln wechseln, füttern, jeden Pfennig umdrehen und für neue Kleidung sparen. Und dann die schlaflosen Nächte, in denen sie Gemma in ihrem Kinderbett schreien hörte und schreien ließ, bis sie endlich eingeschlafen war, weil ihre eigene Mutter immer gesagt hatte, ein Baby dürfe sich gar nicht erst daran gewöhnen, dass nach seiner Pfeife getanzt würde. Und ihre Mutter musste schließlich wissen, wovon sie sprach, meinte Brenda.
Selbst als sie älter wurde, war ihr Gemma noch im Weg gestanden. Jedes Mal, wenn Brenda einen Mann mit nach Hause brachte, war sie gezwungen zu erklären, warum das Kind da war. Und sobald die Männer herausfanden, dass sie ein Kind hatte, blieben sie nicht bei ihr. Mehr als eine Nacht konnte sie von den meisten nicht erwarten, dann verschwanden sie schnell wieder, üblicherweise noch vor dem Morgengrauen, und nur Gemma blieb da und wimmerte vor sich hin.
Brenda konnte Frauen verstehen, die ihre Kinder geschlagen oder getötet hatten. So etwas passierte alle Tage. Kinder konnten einen dazu treiben. Voller Scham erinnerte sie sich daran, wie sie eines Nachts die drei Monate alte Gemma in Decken gewickelt auf die Stufen einer katholischen Kirche gelegt hatte. Keine fünf Minuten war sie zu Hause gewesen, als das schlechte Gewissen sie zurückgetrieben hatte, um das kleine Bündel wieder mitzunehmen. Glücklicherweise war ihr niemand zuvorgekommen.
Aber egal, was diese Polizisten auch behaupteten, sie hatte Gemma nie misshandelt. Manche Mütter setzten ihre Kinder auf die Kochplatten eines Herdes, schütteten kochendes Wasser über sie oder sperrten sie ohne Essen und Trinken im Keller ein, bis sie an Austrocknung starben. So etwas hätte Brenda niemals getan. Sie hatte sich mit Gemma abgefunden und freute sich über sie, wenn sie konnte. Es stimmte, sie hatte das Kind allein gelassen, wenn sie in den Pub gegangen war. Aber nie war ihr etwas passiert. Es stimmte auch, dass sie bei ihren gelegentlichen Kellnerjobs, die sie unerlaubterweise annahm, um ihre Sozialhilfe aufzustocken, nie viel Zeit für Gemma gehabt hatte. Ab und zu hatte sie vergessen zu kochen oder die schmutzige Wäsche liegen gelassen. Wie die meisten Kinder badete Gemma nicht besonders gern und hatte sich deshalb auch nie beschwert, wenn sie ein paar Wochen lang nicht in die Wanne kam.
Was Brenda am meisten bedrückte, als sie dort allein im Dunkeln lag, war die Erkenntnis, dass sie ihr Kind eigentlich nie gemocht hatte. Gut, sie hatte sich an sie gewöhnt, aber Gemma war so verschlossen und zurückgezogen, so andersartig, dass Brenda sie nie erreichen konnte. Und die Art, wie sie durch die Wohnung schlich, hatte etwas Unheimliches. Oft hatte Brenda Gemmas anklagende, kummervolle Blicke gespürt. Selbst jetzt, allein im Dunkeln, konnte sie spüren, wie Gemmas Augen sie auf diese Weise anschauten. Aber man konnte sich sein Kind genauso wenig aussuchen, wie Gemma sich hatte aussuchen können, geboren zu werden.
Aber jetzt, wo Gemma verschwunden war, fühlte sich Brenda schuldig dafür, dass sie erleichtert gewesen war, als Miss Peterson und Mr Brown sie mitgenommen hatten. Warum musste das alles so kompliziert sein? Warum konnten die beiden nicht wirkliche Sozialarbeiter sein, wie sie behauptet hatten? Dann brauchte sie sich für ihre Erleichterung nicht so schuldig zu fühlen. Nun konnte sie nicht einmal die Gedanken daran, was die beiden mit Gemma getan haben könnten, ertragen. Sie schauderte. Gemma war vermutlich tot. Brenda hoffte nur, dass es schnell und schmerzlos passiert war und dass die Polizei bald alles herausfinden würde und sie mit ihrem Kummer allein ließ.
Erneut spulte sie im Kopf ihre Erinnerungen vom Besuch der Sozialarbeiter ab. Vielleicht war sie eine Närrin gewesen, den beiden zu glauben, aber sie hatten so echt ausgesehen und waren so überzeugend gewesen. Sie wusste, dass sie Gemma vernachlässigt hatte und dass das falsch von ihr war, egal wie wenig sie dafür konnte. Sie wusste, dass sie schuldig war, besonders nach dem, was in der Woche davor passiert war. Aber davon konnten die beiden doch keine Kenntnis haben, oder? Nein, sie hatten Recht gehabt. Sie musste ihnen
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