Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Bank vor dem Whitelock's in einer engen Gasse namens Turk's Head Yard, auf dem umgedrehten Fass vor ihnen, das als Tisch diente, standen Essen und Getränke. Zu einem Pint Younger's Bitter aß Banks Cornwall-Pastete mit Pommes frites, während Stott Schottisch-Ei mit scharfer Sauce und dazu ein kleines Radler bestellt hatte. Sie hatten nach Owens Urteilsverkündung gerade das Bezirksgericht von Leeds verlassen.
Es war ein herrlicher Maitag. Der Pub hatte Studenten aus ihren Seminaren gelockt und Büroangestellte dazu animiert, ihre Mittagspause zu überziehen. Wegen der hohen Mauern der Gebäude auf beiden Seiten drang nur wenig Licht in den Turk's Head Yard, aber die Luft war sommerlich warm. Männer saßen ohne Jacken und mit hochgekrempelten Hemdsärmeln da, während Frauen mit nackten Beinen ein, zwei zusätzliche Knöpfe ihrer Blusen öffneten.
Banks trank einen Schluck Bier, bevor er sich seine Pastete schmecken ließ. Er beobachtete, wie Stott an seinem hart gekochten Ei herumstocherte, kleine Stücke in die Sauce stippte, kaute und schluckte, aber viel zu zerstreut war, um das Essen zu genießen. Es war offensichtlich, dass er keinen Appetit hatte. Als er seinen Teller beiseite schob, hatte er erst die Hälfte gegessen. Banks aß schnell auf und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich kann nicht glauben, dass er freigekommen ist«, sagte Stott. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Ich bin genauso sauer wie Sie, Barry, aber so etwas kommt vor«, erwiderte Banks. »Man gewöhnt sich daran. Nehmen Sie es nicht persönlich.«
»Das tue ich aber. Ich bin es gewesen, der auf ihn gekommen ist, ich habe ihn aufgespürt. Wir haben eine solide Anklage aufgebaut und er spaziert einfach so aus dem Gericht.«
Banks machte sich nicht die Mühe, ihn daran zu erinnern, dass Teamwork und langwierige, mühselige Arbeit sie zu Owen Pierce geführt hatten. » Offensichtlich war die Anklage nicht solide genug«, bekannte er. »Vor allem Dr. Tasker war nicht besonders überzeugend. Und selbst Glendenning war nicht in seiner Bestform. Wer weiß? Vielleicht hatten sie Recht?«
»Wer?«
»Die Geschworenen.«
Stott schüttelte den Kopf. Seine Ohren schienen bei der Bewegung wie Flügel zu schlagen. »Nein. Ich kann das nicht hinnehmen. Er hat es getan. Ich weiß es. Ich spüre es in meinem tiefsten Inneren. Er hat das arme Mädchen ermordet und er ist ungeschoren davongekommen. Wenn die Aussage von Michelle Chappel zugelassen worden wäre, dann hätten wir mit Sicherheit eine Verurteilung erreicht. Der Richter hat da einen Riesenfehler gemacht.«
»Vielleicht? Haben Sie sie übrigens gesehen?«
»Wo? Wen?«
»Michelle Chappel. Im Gericht. Ich weiß nicht, ob sie die ganze Zeit dabei gewesen ist, aber bei der Urteilsverkündung saß sie im Zuschauerraum. Seit letzten November hat sie auch wieder ihr Haar wachsen lassen. Jetzt ähnelt sie Deborah Harrison noch mehr. Sie hat sogar einen kastanienbraunen Blazer getragen. Und sie hat mit einem Reporter von News of the World gesprochen.«
»Verstehen Sie, was ich meine?«, sagte Stott. »Wenn wir die Verbindung hätten herstellen können, mit ihrer Aussage, was er ihr angetan hat, dann hätte jeder Geschworene im Land Pierce verurteilt.«
»Vielleicht, aber darum geht es nicht, Barry.«
Stott errötete. »Entschuldigen Sie, aber ich glaube, genau darum geht es. Ein schuldiger Mann ist gerade aus diesem Gericht spaziert, nachdem er einen der schrecklichsten Morde begangen hat, den ich jemals untersucht habe, und Sie erzählen mir, dass es darum nicht geht. Tut mir Leid, aber ...«
»Ich meine, darauf wollte ich gerade nicht hinaus.«
Stott runzelte die Stirn. »Da komme ich jetzt nicht mit.«
»Warum ist Michelle so erpicht darauf, Pierce ans Messer zu liefern?«
»Ach so, verstehe! Also, vielleicht weil er sie verprügelt hat. Oder vielleicht, weil er versucht hat, sie zu erwürgen? Oder weil es sie gekränkt hat, dass sie von ihm vergewaltigt worden ist, nachdem er sie bewusstlos geschlagen hat?«
Banks trank ein paar Schlucke Bier. »Regen Sie sich mal wieder ab, Barry. Ich weiß, was Sie meinen. Vielleicht haben Sie ja Recht. Aber warum hat sie sich den Prozess angeschaut, nachdem ihre Aussage für unzulässig erklärt worden ist? Nur um ihn leiden zu sehen? Dafür hat sie sich extra freigenommen?«
Stott legte die Stirn in Falten. »Wie kommen Sie darauf, dass es da eine
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