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Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel

Titel: Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Simmonds' Resümee eher prosaisch. Aber wenigstens war er fair, musste Owen zugeben. In einem sachlichen Monolog wiederholte der Richter die Hauptpunkte des Falles, sorgsam darauf bedacht, nicht voreingenommen zu wirken. Während der alte Mann sprach, schaute Owen die ganze Zeit zwischen Michelle und »Minerva« hin und her.
      »Minerva« hörte zu, aber Owen konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass diese letzte Rede überflüssig für sie war und sie sich bereits eine Meinung gebildet hatte. Einmal merkte sie, dass er sie anschaute, und wandte sich schnell mit rotem Kopf ab. Er hätte jedoch schwören können, dass in ihrem Blick keine Anklage, keine Verurteilung lag. Als sich Michelle schließlich dazu durchrang, seinen Blick zu erwidern, lächelte sie, und er konnte das kalte, boshafte Funkeln in ihren Augen nicht übersehen, das ihn erschaudern ließ.
     
    * III
     
    Während die Geschworenen sich zur Beratung zurückgezogen hatten, saß Owen mit Shirley Castle und seinen Wachen in einem tristen Raum unter dem Gerichtssaal und trank bitteren Kaffee, bis er Magenschmerzen bekam. Er hatte Erfahrung mit bangem Warten - nach einem Bewerbungsgespräch zum Beispiel oder wenn er in den langen Nächten am Fenster gestanden und darauf gewartet hatte, dass Michelle nach Hause kam -, aber noch nie war es ihm so an die Substanz gegangen wie jetzt. Sein Magen zog sich zusammen und knurrte, er kaute an seinen Fingernägeln, er sprang bei jedem Geräusch auf. Er versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein musste, als es noch die Todesstrafe gegeben hatte, aber es gelang ihm nicht. Shirley Castle versuchte, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, gab es aber nach seinen knappen und wirren Antworten bald auf.
      Stunden, so kam es ihm vor, verstrichen. Schließlich kam jemand und sagte, dass die Geschworenen noch kein Urteil gefällt hätten und dass Owen, da es schon spät war, die Nacht in seiner Zelle verbringen müsste. Er fragte Shirley Castle, was es zu bedeuten hatte, dass die Geschworenen so lange brauchten, und sie sagte, es wäre ein gutes Zeichen.
      In dieser Nacht fand er so gut wie keinen Schlaf. Die Angst nagte an ihm, die Zellenmauern kamen immer näher. In dem Schattenreich zwischen Schlafen und Wachen, in dem sich Erinnerungen mit Träumen vermischen, sah er plötzlich, wie er Deborah Harrison auf dem nebeligen Friedhof erwürgte. Oder war es Michelle? Ihm war so oft eingeredet worden, er habe es getan, dass sein Unterbewusstsein tatsächlich dazu gebracht worden war, es zu glauben. Er meinte, geschrien zu haben, doch niemand eilte herbei, um zu schauen, ob etwas nicht stimmte. Als er aus dem Traum erwachte, bemerkte er, dass er eine Erektion hatte, und schämte sich dafür.
      Dann kam der Morgen: aufstehen, der Gestank nach Urin und Kot, der das gesamte Gefängnis zu durchdringen schien, die Rasur unter Bewachung, Frühstück. Dann saß Owen in seinem Anzug herum und wartete darauf, wieder ins Gericht gebracht zu werden und das Urteil zu hören. Immer noch nichts. Am Mittwochvormittag wusste er nicht mehr, wie lange er es noch aushalten konnte, ohne verrückt zu werden. Kurz vor der Mittagspause wurde seine Zellentür geöffnet und der Wärter sagte: »Komm, Junge. Sieht so aus, als wären sie zurück.«
      Im Gerichtssaal klammerte sich Owen an die Brüstung der Anklagebank, bis seine Knöchel weiß wurden. Der Zuschauerraum war voll: Michelle saß vorgebeugt da und kaute auf ihrem Daumennagel, wie sie es häufig getan hatte, wenn sie im Fernsehen Krimis anschaute oder sich intensiv auf etwas konzentrierte; die Harrisons; zwei der Polizisten, Stott und Banks; der Pfarrer, Daniel Charters, und seine attraktive Frau Rebecca; Reporter; sensationslüsterne Mitglieder der Gesellschaft. Alle waren sie da.
      Die Geschworenen marschierten wieder herein. Owen schaute »Minerva« an. Sie blickte nicht in seine Richtung. Was er davon halten sollte, wusste er nicht.
      Nach der Stille folgte das juristische Geschwafel über die Anklagepunkte, dann wurde die Frage gestellt, auf die jeder gewartet hatte: »Erklären Sie den Angeklagten Owen Pierce im Sinne der Anklage für schuldig oder nicht schuldig?«
      Die kurze Pause zwischen Frage und Antwort kam Owen wie eine Ewigkeit vor. Seine Ohren klingelten und in seinem Kopf schien sich alles zu drehen. Dann sprach der Wortführer, ein langweilig aussehender Mann, den Owen für einen Banker gehalten hatte, das Urteil aus: »Wir erklären den

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