Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
das Gesicht des Jungen hergerichtet hatte. Es war zwar deutlich zu sehen, wie schlimm er geschlagen worden war, aber die Nase saß gerade, die Wangenknochen waren wiederhergestellt und der Mund war fest verschlossen, um die zerschmetterten Zähne zu verbergen. Einziger Missklang war, dass ein Auge gerade nach oben an die Decke und das andere ein wenig nach links zu Mr. und Mrs. Fox starrte.
Banks kam nie mit der merkwürdigen Wirkung zurecht, die die Betrachtung eines toten Menschen auf ihn hatte. Mit den Leichen am Tatort hatte er nicht so große Probleme. Der Anblick schlug ihm zwar manchmal auf den Magen, besonders wenn die Verletzungen schlimm waren, aber sie waren im Grunde genommen Arbeit für ihn; sie waren menschliche Wesen, denen etwas Wertvolles geraubt worden war, eine Beleidigung der Unantastbarkeit des Lebens.
Wenn er allerdings Leichen in der Leichenhalle oder in einem Bestattungssaal liegen sah, hatten sie eine Art beruhigende Wirkung auf ihn. Er konnte es nicht erklären, aber als er hinunter auf die sterblichen Überreste schaute, die einmal Jason Fox gewesen waren, wusste er, dass dort niemand mehr war. Der bleiche Körper ähnelte nur noch einer zerbrechlichen Eierschale, und wenn man fest genug dagegenklopfte, würde sie aufbrechen und nichts als Dunkelheit enthüllen. Das alles hatte irgendwie zur Folge, dass seine eigene, zunehmend stärker werdende Angst vor dem Tod - wenn auch nur für ein paar willkommene Augenblicke - gemildert wurde.
Banks führte die benommenen Foxes hinaus an die frische Luft. Einen Moment lang standen sie auf den Stufen vor dem Krankenhaus und beobachteten schweigend die Menschen, die aus der kleinen Gemeindekirche kamen.
Banks zündete sich eine Zigarette an. »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, fragte er dann.
Nach ein paar Augenblicken sah Steven Fox ihn an. »Was? Oh, Verzeihung«, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, nichts. Ich werde Josie jetzt nach Hause bringen - und ihr eine ordentliche Tasse Tee machen.«
Seine Frau sagte nichts.
Sie gingen die King Street hinab, immer noch, ohne sich zu berühren. Banks seufzte und wandte sich in Richtung Revier. Wenigstens wusste er nun, wer das Opfer war. Zuerst würde er sein Team darüber informieren, danach konnten sie die Ermittlung richtig beginnen.
* III
Normalerweise hätte Sergeant Jim Hatchley nichts mehr genossen als eine Kneipentour, egal an welchem Wochentag, zu jeder Tages- oder Nachtzeit; doch an diesem Sonntag hatte er, während er in den fünften Pub marschierte, dem Jubilee an der Ecke Market Street und Waterloo Road, nur einen Wunsch: nach Hause zu gehen, ins Bett zu kriechen und eine Woche, einen Monat - nein, ein ganzes Jahr lang zu schlafen.
Seit zwei Wochen hielt ihn seine Tochter April, benannt nach dem Monat, in dem sie geboren worden war, weil sich weder Hatchley noch seine Frau Carol auf einen anderen Namen hatten einigen können, jede Nacht wach, da sich diese verdammten Kalziumbrocken, die man Zähne nannte, mit unverhohlener Missachtung für das Wohlergehen der Kleinen durch ihr zartes Zahnfleisch bohrten. Oder für sein Wohlergehen. Und darauf war er nicht genügend vorbereitet gewesen. Im Grunde war er auf nichts von alldem vorbereitet gewesen.
Im ersten Jahr hatte man gar nicht gemerkt, dass April überhaupt da war, so ruhig war sie gewesen. Schlimmstenfalls hatte sie mal geschrien, wenn sie hungrig war, doch sobald sie an Carols Brust lag, war sie glücklich wie ein Ferkel im Klee. Und wer konnte es ihr verdenken, dachte Hatchley, dem es genauso mit Carols Brüsten erging - von denen er in letzter Zeit allerdings auch nicht mehr viel hatte.
Aber nun war April plötzlich zu einem tobenden Ungeheuer geworden und raubte ihm den Schlaf. Ihm war klar, dass er jeden Morgen, wenn er zur Arbeit kam, aussah wie nach einer Sauftour - er merkte es daran, wie ihn alle ansahen -, aber in Wirklichkeit hatte er seit Wochen nichts mehr getrunken. Auf jeden Fall keinen richtigen Drink in einem Pub.
Er hatte sich an ein überliefertes Hausrezept erinnert, wahrscheinlich ein altes Ammenmärchen, wonach man früher Whiskey auf das Zahnfleisch von Babys gerieben hatte, um sie zu beruhigen. Aber Carol wollte das nicht zulassen - sie meinte, sie hätte genug am Hals mit einem Säufer in der Familie -, und so hatte er den Whiskey sozusagen auf das eigene Zahnfleisch gerieben. Jedenfalls hatte der Whiskey sein Zahnfleisch auf dem Weg in
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