Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
der ihn erwartete. Hinter diesem Punkt lauerten die Ungeheuer. Wenigstens war Edna vor ihm gegangen, und obwohl er sie jeden Augenblick vermisste, den er weiterlebte, musste er sich so wenigstens keine Sorgen darum machen, wie sie zurechtkommen würde, falls er als Erster gegangen wäre.
Frank ging in den Flur und hielt vor der Eingangstür inne. Er bekam selten Briefe, deshalb war er überrascht, einen auf dem Teppich liegen zu sehen. Er musste gestern gekommen sein, am Samstag. Seit Freitag war er nicht mehr aus dem Haus gewesen und hatte auch keinerlei Grund gehabt, in den Flur zu gehen; kein Wunder also, dass er ihn noch nicht bemerkt hatte. Er bückte sich vorsichtig, wobei seine Kniegelenke knackten, hob den Brief auf und steckte ihn in die Innentasche. Er konnte warten. Es war keine Rechnung, der Umschlag hatte keines dieser Fenster und sah nicht offiziell aus.
Er öffnete die Tür, atmete die Luft ein und lächelte. Aha, noch immer der Geruch des Sommers, versetzt mit einem Hauch Torfrauch aus dem Dorf. Was für ein komisches Wetter in den letzten Jahren im Tal geherrscht hatte. Globale Erwärmung, behaupteten die Zeitungen, Zerstörung der Ozonschicht, Treibhauseffekt. Was auch immer es war, es war auf jeden Fall großartig.
Er beschloss, auf die Vorsicht zu pfeifen, nahm seinen Schal ab und ging dann die Straße hinab Richtung Dorfwiese. Vor der weiß getünchten Fassade des Swainsdale Heifer hielt er an, um auf den Verkehr zu achten, der trotz der Warnschilder um die nicht überschaubare Ecke raste. Dann schritt er auf der breiten, gepflasterten Zone an den Souvenirläden vorbei, an der kleinen Filiale der Barclay's Bank und dem Büro des Immobilienmaklers, ließ den King's Head hinter sich und ging weiter zum dritten Pub des Dorfes, dem Black Bull.
Warum musste es gerade dieser verdammte Pub sein, der von seinem Haus am weitesten entfernt lag, fragte er sich immer wieder. Doch der Black Bull war seit über vierzig Jahren seine Stammkneipe gewesen, und nichts konnte ihn dazu bringen, das jetzt zu ändern, selbst wenn er auf dem Weg dahin manchmal völlig außer Atem geriet. Und selbst wenn der Wirt sich um niemanden scherte als um die Touristen, die mit einer Menge Geld herumwedelten.
Frank hatte einen Haufen Wirte kommen und gehen sehen. Der alte Jacob war auf seine Art ganz in Ordnung - ein Londoner Jude, der aus einer dieser Familien stammte, die das Glück gehabt hatten, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus Deutschland nach England fliehen zu können - und er musste natürlich auch irgendwie über die Runden kommen, aber er war ein alter Geizkragen. Bei ein paar Drinks auf Kosten des Hauses würde die Rente eines alten Mannes weitaus länger reichen. Der letzte Wirt hatte das verstanden. Jacob nicht. Er war genauso knickerig, wie der alte Len Metcalfe es vor über zehn Jahren gewesen war.
Frank schob die schwere Tür auf, die beim Öffnen quietschte, und ging über die ausgetretenen Steinplatten an die Theke, »'n doppelten Bell's, bitte«, sagte er.
»Hallo, Frank«, begrüßte ihn Jacob. »Wie geht's denn heute?«
Frank fasste an seine Brust. »Nur ab und zu so ein Stechen, Jacob«, antwortete er. »Nur ein Stechen. Ansonsten bin ich kerngesund.«
Er nahm sein Glas und ging hinüber zu dem kleinen Tisch links von der Theke, wo er immer saß und von wo aus er den Gang zu den Automaten und dem Billardtisch auf dem Podest am anderen Ende überschauen konnte. Wie gewöhnlich sagte er Hallo zu Mike und Ken, die auf Barhockern an der Theke saßen und sich die Köpfe über einem Kreuzworträtsel zermarterten. Ebenso grüßte er diesen Schwätzer und Schmarotzer aus dem Süden, Clive, der, ein paar Hocker von ihnen entfernt, seine Pfeife paffte und über die Schafzucht dozierte, obwohl er nicht das Geringste davon verstand. Ein paar der anderen Tische waren von Touristen besetzt, einige waren für einen Wander- oder Kletterausflug ausgerüstet. Schließlich war Sonntag. Und ein herrlicher noch dazu.
Frank trank einen Schluck Bell's, zuckte angesichts der Stärke zusammen und hoffte, dass das Brennen, das er spürte, nur der seine Kehle hinablaufende Whiskey war und nicht die Vorboten des finalen Herzinfarktes. Dann fiel ihm der Brief ein, den er in seine Tasche gesteckt hatte. Er setzte seine Lesebrille auf und holte ihn hervor.
Die Adresse war mit der Hand geschrieben, es gab jedoch keinen Hinweis darauf, wer ihn abgeschickt hatte. Die Schrift
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