Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
meinte Susan. »Am Samstagabend wurde er mit diesem jungen Mann im Jubi-lee beim Trinken gesehen.« Sie wandte sich wieder an Maureen und zeigte ihr das Bild. »Wir versuchen ihn aufzuspüren. Er könnte uns helfen herauszufinden, was geschehen ist. Haben Sie Jason jemals mit diesem Jungen gesehen?«
Maureen schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Mrs. Fox?«
»Nein.«
»Sie haben uns gesagt, Jason hätte in der Plastikfabrik in Leeds gearbeitet. Wussten Sie, dass er die Firma vor zwei Jahren verlassen hat, dass er wegen seiner rassistischen Ansichten gebeten wurde zu gehen?«
Josie Fox' Kinnlade fiel herunter, sie konnte mit ungläubigen Blicken nur langsam den Kopf schütteln. Selbst Maureen wurde bleich.
»Haben Sie eine Ahnung, wohin er danach gegangen ist?«, machte Susan weiter.
»Nein«, antwortete Mrs. Fox niedergeschlagen und mit matter Stimme. »Soweit wir wussten, arbeitete er dort.«
»Hat er mal davon gesprochen, Computerkurse zu besuchen?«
»Nicht mir gegenüber, nein.«
»Wissen Sie, wo Jason in Leeds gewohnt hat?«
»Ich habe Ihnen die Adresse gegeben.«
Susan schüttelte den Kopf. »Dort wohnte er schon seit achtzehn Monaten nicht mehr. Er ist nach Rawdon umgezogen. Haben Sie ihn nie besucht?«
Wieder fiel Mrs. Fox aus allen Wolken. »Nein. Wie denn? Wir haben beide unter der Woche gearbeitet. Jason auch. Außerdem kam er uns ja an den Wochenenden besuchen.«
»Haben Sie ihn nie angerufen?«
»Nein. Er hat gesagt, es wäre ein Gemeinschaftstelefon, draußen auf dem Flur, und die Leute in den anderen Wohnungen wollten nicht gestört werden. Wenn er uns ankündigen wollte, dass er hochkommt, hat er normalerweise bei uns angerufen.«
»Und bei der Arbeit?«
»Nein. Sein Chef wollte das nicht. Jason hat jedes Mal bei uns angerufen. Ich verstehe es nicht. Das ist alles ... Warum hat er uns nichts erzählt?«
»Keine Ahnung, Mrs. Fox«, sagte Susan.
Josie Fox stiegen Tränen in die Augen. »Wie konnte er? Ich meine, wie kam es, dass er einer solchen Gruppe beigetreten ist und nie etwas verlauten ließ? Wir standen uns in der Familie doch einmal sehr nahe. Wir haben immer versucht, ihn vernünftig und anständig zu erziehen. Was haben wir denn falsch gemacht?«
Maureen saß steif mit vor der Brust verschränkten Armen da, verdrehte die Augen und starrte einen Punkt hoch oben an der Wand an, als würde sie der Gefühlsausbruch ihrer Mutter gleichzeitig peinlich berühren und anwidern.
Was haben wir falsch gemacht? Eine Frage, die Susan viele Male gehört hatte, sowohl während ihrer Arbeit als auch von den eigenen Eltern, wenn sie sich über den Berufsweg beklagten, den sie eingeschlagen hatte. Sie versuchte sie gar nicht erst zu beantworten.
Eine Menge Vorurteile wurden vererbt. Das beste Beispiel hatte sie in ihrer eigenen Familie. Ihr Vater, nach außen hin ein anständiger und intelligenter Mann, ein regelmäßiger Kirchengänger, ein respektiertes Mitglied der Gemeinde, würde niemals in einem indischen Restaurant essen, weil er glaubte, ihm würde dort Fleisch von Pferden, Hunden oder Katzen serviert werden und die scharfen Gewürze hätten nur den Zweck, den Geschmack der Verwesung zu übertünchen.
Susan wusste, dass sie eine Menge seiner Einstellungen übernommen hatte; sie wusste aber auch, dass sie dagegen ankämpfen konnte. Sie musste nicht für alle Ewigkeit an ihnen hängen bleiben. Deshalb ging sie häufig in indische Restaurants und hatte das Essen zu lieben begonnen. Und deshalb war sie bei Superintendent Gristhorpes Anspielung darauf, im Himalaya zu Mittag zu essen, errötet. Denn genau daran hatte sie in dem Moment gedacht, an Zwiebel-Bhaji und Gemüse-Samosas. Mmmm.
Doch was auch immer sie tat, in ihrem Hinterkopf war es immer da: das von ihrem Vater geerbte Gefühl, dass diese Menschen nicht ganz wie wir waren; dass ihre Sitten und ihr religiöser Glaube barbarisch und primitiv waren, unchristlich.
Was haben wir falsch gemacht? Wer wusste schon die Antwort auf diese Frage? Susan schloss ihr Notizbuch, verabschiedete sich von den Foxes und ging hinaus auf den Narzissenstieg. Es hatte wieder zu regnen begonnen.
* III
Der Verkehr auf der Ringstraße von Leeds war nicht allzu stark, sodass Banks um elf Uhr Rawdon erreichte. Das Haus Nummer sieben in der Rudmore Terrace war ein einfallsloses, verklinkertes Doppelhaus nahe der Hauptstraße zum Flughafen von Leeds
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