Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
nächstes Jahr machen?«
Banks grinste. »Sie können bestimmt einen von Ihren Constables zur Hilfe heranziehen. Wenn wir nicht schnell einen Durchbruch erzielen, schau ich mal, ob wir noch Verstärkung bekommen, obwohl ich bezweifle, dass dieser Fall oberste Priorität hat.«
»Danke, Sir.«
»Fürs Erste konzentrieren wir uns auf die Identität des Opfers. Die ist entscheidend.«
»In Ordnung.«
»Nur so ein Gedanke, aber wissen Sie zufällig, ob es noch jemanden gibt, der früher in Hobb's End lebte und jetzt in Harkside wohnt? Ist doch gar kein dummer Einfall.«
»Ich frage mal Inspector Harmond. Der kommt hier aus der Gegend.«
»Gut. Ich überlasse das Ihnen und fahre zusammen mit John die Knochen nach Leeds.«
»Soll ich heute Abend dort vorbeikommen?«
»Wenn Sie wollen, treffen wir uns um sechs beim Labor. Wo ist das eigentlich?«
Annie beschrieb es ihm.
»Bis dahin«, sagte er, »ist hier meine Handynummer. Rufen Sie kurz an, wenn Sie was finden.«
»Jawohl, Sir.« Annie schien ihre Sonnenbrille nur zu berühren, und schon rutschte sie herunter auf die Nase an ihren Platz. Damit drehte Annie sich um und marschierte in den Wald.
Banks war ein komischer Kauz, dachte Annie auf der Rückfahrt nach Harkside. Bevor sie ihn kennen lernte, hatte sie natürlich schon einiges über ihn gehört. So wusste sie beispielsweise, dass Polizeipräsident Riddle ihn hasste, dass Banks bei ihm in Ungnade, ja fast schon in ein Loch gefallen war, obwohl sie den Grund nicht kannte. Einer hatte sogar von einer Schlägerei zwischen den beiden berichtet. Aus irgendeinem Grund war seine Karriere auf Eis gelegt; es war sicherlich nicht günstig, sich an ihn zu hängen.
Auch Annie hatte nicht viel für Jimmy Riddle übrig. Sie war ein- oder zweimal mit ihm zusammengetroffen und hatte ihn arrogant und herablassend gefunden. Annie war eine von Millies Günstlingen - Assistant Chief Constable Millicent Cummings, neue Leiterin der Personalabteilung, hatte sich vorgenommen, den Frauenanteil bei der Polizei zu erhöhen und darauf zu achten, dass sie ordentlich behandelt wurden und die Konkurrenz zwischen Millie und Riddle, der sich schon gegen ihre Einstellung ausgesprochen hatte, war wohl bekannt. Nicht dass Riddle ausdrücklich für die schlechte Behandlung von Frauen gewesen wäre, aber er umging das Problem lieber, indem er ihre Zahl auf ein absolutes Minimum beschränkte.
Annie hatte auch gehört, dass Banks vor nicht allzu langer Zeit von seiner Frau wegen eines anderen verlassen worden war. Und nicht nur das, es ging auch das Gerücht um, dass er eine Geliebte in Leeds hatte, und zwar schon lange, sogar bevor seine Frau ihn verlassen hatte. Sie hatte gehört, er sei ein Einzelgänger, ein Drückeberger und ein Kommunistenschwein. Er sei ein hervorragender Kommissar, aber seit der Trennung von seiner Frau heruntergekommen, er habe seine besten Jahre hinter sich, alles laufe an ihm vorbei, er sei ausgebrannt, ein Schatten seiner selbst.
Auf den ersten Blick wusste Annie nicht genau, was sie von ihm halten sollte. Sie glaubte ihn zu mögen. Attraktiv fand sie ihn jedenfalls, und er wirkte jünger als Mitte vierzig, eher wie Mitte dreißig, auch wenn sein dichtes schwarzes lockiges Haar an den Schläfen graue Strähnen aufwies. Was die besten Jahre betraf, so wirkte er müde und schien eine große traurige Last mit sich herumzutragen, aber sie spürte dennoch, dass das Feuer irgendwo hinter seinen scharfen blauen Augen schwelte. Vielleicht nicht mehr ganz so kraftvoll, aber es war noch da.
Andererseits bestand auch die Möglichkeit, dass er seine besten Jahre wirklich hinter sich hatte, dass er seine Arbeit nur noch mechanisch verrichtete und sich damit zufrieden gab, bis zur Pensionierung Akten zu wälzen. Vielleicht war das Feuer, das sie in ihm spürte, nur die nicht vollständig erloschene Glut, die bald in sich zusammenfallen würde. Nun, wenn Annie in den vergangenen Jahren eines gelernt hatte, dann war es, keine vorschnellen Schlüsse über Menschen zu ziehen: Der Starke erscheint oft schwach; der Weise wirkt oft närrisch. Schließlich waren ja auch viele Menschen der Ansicht, sie sei sonderbar, und man hätte ohne weiteres behaupten können, dass sie ihre Arbeit in letzter Zeit auch nur noch mechanisch erledigte. Sie fragte sich, ob wohl auch Gerüchte über sie in Umlauf waren. Wenn ja, konnte sie sich gut vorstellen, wie sie lauteten: »die
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