Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
seiner unbestimmten Depression getrübt war.
Nach dem chaotischen Wochenende herrschte auf dem Polizeirevier wieder das übliche Treiben; die Journalisten waren fort, genau wie Lucy Payne. Banks machte sich keine allzu großen Sorgen über Lucys Verschwinden. Er schloss die Tür hinter sich und stellte das Radio an. Sie würde schon wieder auftauchen, und wenn nicht, gab es auch keinen wirklichen Grund zur Beunruhigung. Erst wenn sie einen konkreten Beweis für ihre Schuld fanden. Bis dahin konnte man sie immerhin über Geldautomaten und Kreditkartenquittungen verfolgen. Wo sie auch war, Geld würde sie brauchen.
Nachdem er seinen Papierkram erledigt hatte, ging Banks ins Großraumbüro. Winsome Jackman saß an ihrem Tisch und kaute auf einem Bleistift.
»Winsome«, sagte er, denn ihm war eine der Kleinigkeiten eingefallen, die ihn so früh geweckt hatten. »Ich habe noch eine Aufgabe für Sie.«
Und nachdem er erklärt hatte, was sie für ihn erledigen sollte, verließ er das Revier durch den Hintereingang und machte sich auf nach Leeds.
Kurz nach Mittag betrat Annie das Gebäude des Crown Prosecution Service. Sie hatte noch nichts gegessen. Der für den Fall zuständige Staatsanwalt, Jack Whitaker, war jünger, als sie erwartet hatte, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, vermutete sie. Außerdem lispelte er leicht und verlor schon sein Haar. Er hatte einen festen Händedruck, seine Hand war etwas feucht. Das Zimmer war weitaus ordentlicher als das von Stafford Oakes in Eastvale, der jede Akte verbummelte oder mit olympischen Ringen aus Kaffee verzierte.
»Gibt's was Neues?«, fragte er, als Annie sich gesetzt hatte.
»Ja«, entgegnete Annie. »Janet Taylor hat heute Morgen ihre Aussage geändert.«
»Darf ich?«
Annie reichte ihm die überarbeitete Aussage von Janet Taylor, und Whitaker las sie. Anschließend schob er das Papier über den Tisch zu Annie zurück. »Was meinen Sie?«, fragte sie.
»ich meine«, sagte Jack Whitaker langsam, »dass wir Janet Taylor wohl des Mordes anklagen.«
»Was?«, rief Annie ungläubig. »Sie hat in Ausübung ihrer Pflicht als Polizeibeamtin gehandelt. Ich dachte an rechtmäßige Tötung im Strafvollzug oder allerhöchstens an Körperverletzung mit Todesfolge. Aber Mord?«
Whitaker seufzte. »Oje. Dann haben Sie noch keine Nachrichten gehört, was?«
»Was für Nachrichten?« Auf der Fahrt nach Leeds hatte Annie das Radio nicht eingeschaltet, weil sie viel zu sehr mit Janets Fall und ihren wirren Gefühlen für Banks beschäftigt war, um sich auf die Nachrichten oder ein Interview zu konzentrieren.
»Im John-Hadleigh-Fall sind die Geschworenen kurz vor Mittag von der Beratung zurückgekommen. Sie wissen schon, der Bauer aus Devon.«
»Ich kenne den Hadleigh-Fall. Wie lautet das Urteil?«
»Schuldig des Mordes.«
»Du meine Güte«, sagte Annie. »Aber trotzdem, das ist doch was ganz anderes, oder? Ich meine, Hadleigh war Zivilist. Er hat einen Einbrecher von hinten erschossen. Aber Janet Taylor ...«
Whitaker hob die Hand. »Ausschlaggebend ist, dass es ein eindeutiges Statement ist. Es muss gewährleistet sein, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Wir können uns nicht leisten, dass es einen Aufschrei in der Presse gibt, weil wir Janet Taylor mit Samthandschuhen anfassen, nur weil sie bei der Polizei ist.«
»Dann ist es also Politik?«
»Ist es doch immer, oder? Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden.«
»Der Gerechtigkeit?«
Whitaker hob die Augenbrauen. »Hören Sie«, sagte er. »Ich verstehe Ihre Gefühle; wirklich, tue ich. Aber laut eigener Aussage hat Janet Taylor Terence Payne mit Handschellen an ein Metallrohr gefesselt, nachdem sie ihn bereits überwältigt hatte, und hat ihn dann noch zweimal mit dem Knüppel geschlagen. Heftig. Überlegen Sie mal, Annie! Das ist Vorsatz. Das ist Mord.«
»Das heißt nicht unbedingt, dass sie ihn töten wollte. Es war kein Vorsatz.«
»Das müssen die Geschworenen entscheiden. Ein guter Staatsanwalt könnte behaupten, dass sie ganz genau wusste, wie die beiden nächsten Schläge auf den Kopf wirken würden, nachdem sie ihn vorher schon siebenmal geschlagen hatte.«
»Ich glaube einfach nicht, was Sie da sagen«, sagte Annie.
»Es tut niemandem mehr Leid als mir«, entgegnete Whitaker.
»Höchstens Janet Taylor.«
»Dann hätte sie Terence Payne nicht töten
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