Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
sagte Annie und lächelte Jenny wieder an. Dann wandte sie sich an Banks: »Aber ich war zufällig gerade auf dem Revier, weil ich nach dem Essen noch ein paar Unterlagen fertig machen wollte. Winsome hat mir gesagt, Sie wären hier, sie hätte eine Nachricht für Sie. Ich hab gesagt, ich richte es Ihnen aus.«
Banks hob die Augenbrauen. »Und?«
»Sie ist von Ihrem Kumpel Ken Blackstone aus Leeds. Sieht aus, als ob Lucy Payne getürmt ist.«
Jenny schnappte nach Luft. »Was?«
»Die Polizei hat heute Morgen im Haus ihrer Eltern vorbeigeguckt, nur um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Ihr Bett war unberührt.«
»Verfluchte Scheiße«, sagte Banks. »Schon wieder vermasselt.«
»Ich dachte nur, Sie wüssten es gerne so schnell wie möglich«, sagte Annie und stand auf. Sie schaute Jenny an. »Hat mich gefreut.«
Dann verschwand sie so elegant und anmutig, wie sie gekommen war, und Banks und Jenny saßen da und schauten sich an.
Mick Blair, der Vierte aus der Clique, mit der Leanne Wray unterwegs gewesen war, wohnte mit seinen Eltern in einer Doppelhaushälfte in North Eastvale. Das Haus lag nah genug am Stadtrand, um einen schönen Blick über Swainsdale zu bieten, war aber auch nicht weit vom Zentrum entfernt. Als Banks von Lucy Paynes Verschwinden hörte, fragte er sich, ob er seine Pläne ändern sollte, beschloss aber, dass Leanne Wray weiterhin Priorität besaß und Lucy Payne in den Augen des Gesetzes immer noch Opfer war. Außerdem wimmelte es überall vor Bullen, die nach ihr Ausschau hielten; mehr konnte er auch nicht tun, bis man ihr etwas anlasten konnte.
Anders als Ian Scott hatte Mick noch nichts mit der Polizei zu tun gehabt, auch wenn Banks vermutete, dass er bei Ian Drogen kaufte. Mick machte einen etwas ungepflegten Eindruck, war nicht ganz wach und schien wenig Zeit auf sein Äußeres zu verwenden. Als Banks nach dem Sonntagsessen mit Jenny vorbeischaute, waren Micks Eltern unterwegs bei Verwandten. Mick hing im Wohnzimmer herum und hörte Nirvana bei voller Lautstärke. Er trug eine zerrissene Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit dem Bild von Kurt Cobain, darunter dessen Geburts- und Todesdatum.
»Was wollen Sie?«, fragte Mick, stellte die Musik leiser und lümmelte sich aufs Sofa, die Hände hinterm Kopf verschränkt.
»Über Leanne Wray sprechen.«
»Haben wir doch schon.«
»Gehen wir's noch mal durch?«
»Warum? Hat sich was Neues ergeben?«
»Was sollte sich denn ergeben?«
»Keine Ahnung. Ich wunder mich nur, dass Sie hierher kommen, mehr nicht.«
»War Leanne deine Freundin, Mick?«
»Nein. Da lief nichts.«
»Sie ist ein hübsches Mädchen. Wolltest du nichts von ihr?«
»Vielleicht. Kann sein.«
»Aber sie hatte keinen Bock?«
»Es war noch früh, das ist alles.«
»Was meinst du damit?«
»Manche Weiber brauchen ein bisschen Zeit, da muss man dranbleiben. Die hüpfen nicht sofort mit einem ins Bett, wenn man sie kennen lernt.«
»Und Leanne brauchte Zeit?«
»Ja.«
»Wie weit bist du gekommen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie weit? Händchen halten? Knutschen? Mit Zunge oder ohne?« Banks konnte sich noch an das Gefummel in seiner Jugend und an die Stufen erinnern, die man nacheinander durchlaufen musste. Nach dem Knutschen kam meistens Fummeln oben rum, aber über den Sachen, dann durfte man unter die Bluse, aber noch nicht unter den BH. Als nächstes wurde der BH ausgezogen, dann ging's ans Höschen und so weiter, bis man am Ziel war. Wenn man Glück hatte. Bei manchen Mädchen dauerte es ewig, sich von einer Stufe zur nächsten vorzuarbeiten, und andere ließen einen sofort an den Schlüpfer, aber nicht rein. Die Verhandlungen waren ein Minenfeld. Bei jedem Versuch lief man Gefahr abzublitzen. Nun, wenigstens war Leanne Wray nicht leicht zu erobern gewesen. Aus irgendeinem Grund freute sich Banks darüber.
»Wir haben manchmal rumgemacht.«
»Und was war am Freitagabend, dem 31. März?«
»Nix. Wir waren mit den anderen unterwegs, mit Ian und Sarah.«
»Im Kino hast du nicht mit Leanne rumgeknutscht?«
»Kann schon sein.«
»Heißt das ja oder nein?«
»Schätze schon.«
»Habt ihr euch vielleicht gezofft?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Banks kratzte sich an der Narbe neben dem rechten Auge. »Es ist so, Mick: Ich komme her, um noch mal mit dir zu reden, und du hast keinen Bock
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