Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
die Asservatenkammer nach Millgarth bringen müssen.
»Schon was gefunden, Dave?«, erkundigte sich Banks.
Preece schob die Brille hoch und drehte sich um. »Nicht viel. Ein paar Bookmarks von pornographischen Seiten, Chatrooms und so. Bisher nichts Illegales, wie es aussieht.«
»Bleiben Sie dran!«
Banks betrat das Schlafzimmer. Auch hier erinnerte die Wandfarbe ans Meer, allerdings war sie nicht korallenrot, sondern blau. Azurblau? Kobaltblau? Himmelblau? Annie Cabbot wüsste den genauen Farbton, ihr Vater war ja Maler. Für Banks war es einfach Blau, wie die Wände in seinem Wohnzimmer, nur ein oder zwei Töne dunkler. Auf dem kleinen Doppelbett lag eine aufgeschüttelte schwarze Daunendecke. Die Schränke waren Kombiprogramme aus heller skandinavischer Kiefer. Auf einem Gestell am Fußende des Bettes stand ein zweiter Fernseher. Im Schrank war eine Sammlung von Softpornos, wenn man der Beschriftung glauben durfte, aber nichts Illegales oder Selbstgedrehtes, nichts mit Kindern oder Tieren. Die Paynes standen halt auf Pornos. Na und? Das tat mindestens die Hälfte aller Erwachsenen im Land, hätte Banks gewettet. Aber die Hälfte aller Erwachsenen lief nicht herum und entführte und tötete junge Mädchen. Einer der jungen Constables würde das Glück haben, sich vor die Kiste setzen zu dürfen und den ganzen Kram von vorne bis hinten durchzuglotzen, um zu bestätigen, dass Inhalt und Titel zusammenpassten.
Banks durchstöberte den Kleiderschrank: Anzüge, Hemden, Kleider, Schuhe - hauptsächlich Damenschuhe -, nichts, das er nicht erwartet hätte. Alles würde von der Spurensicherung eingetütet und gründlichst untersucht werden.
Auch im Schlafzimmer stand allerlei Nippes, Porzellan aus Limoges, Schmuckschatullen mit Melodie, lackierte, handbemalte Schachteln. Eine Schale mit Duftmischung, die auf dem Wäschekorb unter dem Fenster stand, verbreitete den Geruch von Moschusrose und Anis.
Das Schlafzimmer ging auf die Straße, und als Banks den Spitzenvorhang zur Seite schob, konnte er die Häuser auf der kleinen Anhöhe gegenüber sehen, halb verdeckt von Büschen und Bäumen. Unten auf der Straße herrschte reges Treiben. Banks drehte sich um. In seiner absoluten Sterilität war das Zimmer irgendwie bedrückend. Es hätte aus dem Katalog eines Einrichtungshauses zusammengestellt und gestern angeliefert worden sein können. Das ganze Haus - der Keller natürlich ausgenommen - vermittelte dieses Gefühl, hübsch und modern, so wie ein aufstrebendes, angesagtes junges Pärchen aus der Mittelschicht vermeintlich wohnte. Durchschnittlich, aber nichtssagend.
Mit einem Seufzer ging er nach unten.
* 3
Kelly Diane Matthews verschwand während der Silvesterparty im Roundhay Park am Rande von Leeds. Sie war siebzehn Jahre alt, ein Meter fünfundsiebzig groß und wog lediglich fünfundvierzig Kilo. Sie wohnte in Alwoodley und ging zur Allerton High School. Kelly hatte zwei jüngere Schwestern: Ashley, neun Jahre, und Nicola, dreizehn.
Der Anruf bei der örtlichen Polizei erfolgte um 9:11 Uhr am 1. Januar 2000. Mr. und Mrs. Matthews waren in Sorge, weil ihre Tochter nicht nach Hause gekommen war. Sie hatten selbst gefeiert und waren erst um kurz vor drei zurückgekehrt. Als sie feststellten, dass Kelly noch nicht im Bett war, hatten sie sich keine großen Gedanken gemacht, weil Kelly mit Freundinnen unterwegs war und Silvesterpartys oft bis in den frühen Morgen gingen. Außerdem wussten die Eltern, dass Kelly genug Geld für ein Taxi bei sich hatte.
Beide waren müde und ein wenig beschwipst von der Feier, erzählten sie der Polizei, deshalb gingen sie direkt ins Bett. Als sie am nächsten Morgen aufwachten und sahen, dass Kellys Bett immer noch unbenutzt war, machten sie sich langsam Sorgen. So etwas war bisher noch nicht vorgekommen. Zuerst riefen sie die Eltern der beiden Freundinnen an, mit denen Kelly unterwegs gewesen war. Die Matthews schätzten die beiden Mädchen als zuverlässig ein. Beide Freundinnen, Alex Kirk und Jessica Bradly, waren um kurz nach zwei nach Hause gekommen. Adrian Matthews informierte die Polizei. Police Constable Rearden, der den Anruf entgegennahm, bemerkte die aufrichtige Besorgnis in Mr. Matthews' Stimme und schickte unverzüglich einen Kollegen vorbei.
Kellys Eltern sagten, sie hätten ihre Tochter zuletzt gegen sieben Uhr abends am 31. Dezember gesehen, als sie sich verabschiedete, um sich mit ihren Freundinnen zu treffen.
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