Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
gab den Blick auf den unüberdachten Wochenmarkt und den Busbahnhof frei. Hinter dem Bahndamm ragte der Glockenturm der Parish Church von Leeds in den Himmel.
»Alan, setzen Sie sich!«, grüßte Hartneil. »Tee? Kaffee?«
Banks fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ein schwarzer Kaffee wäre nett, wenn's keine Umstände macht.«
»Aber nicht doch.«
Hartneil bestellte telefonisch Kaffee und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, der bei jeder Bewegung quietschte. »Muss das dumme Ding ölen lassen«, sagte er.
Hartnell war ungefähr zehn Jahre jünger als Banks, musste also Ende dreißig sein. Er hatte von dem beschleunigten Beförderungsverfahren profitiert, das zum Ziel hatte, fähigen jungen Menschen wie ihm eine Chance in Führungspositionen zu geben, bevor sie alte Tattergreise waren. So eine steile Laufbahn war Banks nicht beschert gewesen; er gehörte noch zu denen, die sich mühsam hoch gearbeitet hatten. Er war den schweren Weg gegangen und hegte wie viele seiner Kollegen, die es wie er gemacht hatten, ein gewisses Misstrauen gegenüber denen auf der Überholspur. Die kannten sich mit allem aus, nur nicht mit dem A und O, dem knallharten Polizeialltag.
Das Komische war, dass Banks Phil Hartnell mochte. Er hatte eine unkomplizierte Art, war ein intelligenter, engagierter Mann und ließ die Kollegen, die ihm unterstellt waren, in Ruhe ihre Arbeit machen. Im Verlauf der Chamäleon-Ermittlung hatte sich Banks regelmäßig mit ihm getroffen. Hartnell hatte zwar hin und wieder einen Vorschlag eingebracht, manchmal sogar einen sinnvollen, aber kein einziges Mal versucht, sich einzumischen und Banks' Kompetenz in Frage zu stellen. Er sah gut aus, war groß und hatte die breiten Schultern eines sporadischen Bodybuilders. Hartnell stand in dem Ruf, ein kleiner Charmeur zu sein. Er war unverheiratet, und man ging allgemein davon aus, dass er noch eine Weile solo bleiben würde.
»Erzählen Sie mir, was uns erwartet!«, forderte er Banks auf.
»Eine Riesenscheiße, wenn Sie mich fragen.« Banks berichtete ihm, was man bisher im Keller von The Hill 35 gefunden hatte und in welchem Zustand die drei Überlebenden waren. Hartnell hörte zu und legte den Finger an die Lippen.
»Es besteht also kein großer Zweifel, dass er unser Mann ist? Das Chamäleon?«
»Eigentlich nicht.«
»Das ist schon mal gut. Da können wir uns auf die Schulter klopfen. Der Massenmörder ist dingfest gemacht.«
»Das geht nicht auf unsere Kappe. War pures Glück, dass die Paynes zufällig einen Ehestreit hatten, eine Nachbarin das mitbekam und bei der Polizei angerufen hat.«
Hartnell reckte die Arme hinter dem Kopf. Er zwinkerte mit seinen graublauen Augen. »Wissen Sie, Alan, uns wird ständig in den Arsch getreten, wenn das Glück gegen uns ist oder es mal wieder nicht vorwärts geht, auch wenn wir noch so viele Leute dransetzen. Da würde ich sagen, wir haben das gute Recht, uns diesmal als Sieger hinzustellen und ein bisschen rumzuprahlen. Alles reine Ansichtssache.«
»Wenn Sie das sagen.«
»Das sage ich, Alan, das sage ich.«
Der Kaffee kam, und beide tranken schweigend. Banks genoss ihn, denn er hatte heute noch nicht seine üblichen drei, vier Tassen heruntergeschüttet.
»Aber wir haben eventuell ein ernsthaftes Problem, oder?«, fuhr Hartnell fort.
Banks nickte. »Die Kollegin Taylor.«
»Genau.« Hartnell pochte auf die Aktenmappe. »Janet Taylor, Police Constable in der Probezeit.« Er schaute kurz zum Fenster hinüber. »Ich kannte Dennis Morrisey übrigens. Nicht besonders gut, aber ich kannte ihn. Anständiger Kerl. Kommt mir vor, als wäre er schon ewig bei uns. Wird uns fehlen.«
»Und die Taylor?«
»Die kenne ich eigentlich nicht. Sind die entsprechenden Vorschriften befolgt worden?«
»Ja.«
»Noch keine Stellungnahme?«
»Nein.«
»Gut.« Hartneil stand auf und schaute eine Weile aus dem Fenster, den Rücken Banks zugewandt. »Sie wissen genauso gut wie ich, Alan, wie die Vorschriften aussehen. Die polizeiliche Beschwerdebehörde muss einen Ermittler aus einer anderen Einheit schicken, der sich mit der Angelegenheit befasst. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass wir etwas vertuschen oder jemand eine Sonderbehandlung bekommt. Natürlich täte ich nichts lieber, als das selbst in die Hand zu nehmen. Schließlich war Dennis einer von uns. Genau wie Constable Taylor. Aber das ist nicht drin.«
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