Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
etwas. »Ist das alles?«, fragte er.
»Wie meinen Sie das?«
»Ist das alles, was Sie mir verschwiegen haben, oder gibt es noch mehr?«
»Sonst war da nichts.«
Banks stand auf. »Verstehen Sie jetzt«, sagte er an der Tür, »dass es doch relevant ist, was Sie mir erzählt haben? Sehr relevant.«
»Ich verstehe nicht, warum.«
»Terence Payne hat schwere Gehirnverletzungen. Er liegt im Koma und wird eventuell nie mehr daraus erwachen, und selbst wenn, ist es möglich, dass er sich an nichts erinnern kann. Lucy Payne wird sich ziemlich schnell erholen. Sie sind die Erste, die uns überhaupt irgendetwas über sie verraten konnte, und es sind Informationen, die ihr helfen könnten.«
»Inwiefern?«
»Es gibt nur zwei Fragen in Bezug auf Lucy Payne. Erstens: War sie seine Komplizin? Und zweitens: Wusste sie Bescheid und hat den Mund gehalten? Was Sie mir gerade erzählt haben, ist das Erste, das die Waagschale zu Lucys Gunsten verändert. Damit haben Sie Ihrer Freundin einen Dienst erwiesen. Schönen Abend noch, Mrs. Forrest. Ich werde dafür sorgen, dass ein Beamter ein Auge auf Ihr Haus hat.«
»Warum? Meinen Sie, ich bin in Gefahr? Sie haben gesagt, Terry ...«
»Das meine ich nicht. Die Journalisten. Die können ganz schön hartnäckig sein, und ich möchte nicht, dass Sie denen erzählen, was Sie mir gerade erzählt haben.«
* 5
Leanne Wray war sechzehn, als sie am Freitag, dem 31. März, in Eastvale verschwand. Sie war ein Meter fünfundfünfzig groß, wog nur vierundvierzig Kilo und lebte als Einzelkind bei ihrem Vater, Christopher Wray, einem Busfahrer, und ihrer Stiefmutter Victoria, Hausfrau, in einem Reihenhaus nördlich des Stadtzentrums von Eastvale. Leanne besuchte die Gesamtschule Eastvale.
Leannes Eltern erzählten der Polizei später, sie hätten sich nichts dabei gedacht, ihre Tochter am Freitagabend ins Kino gehen zu lassen, auch wenn sie von den beiden Vermissten, Kelly Matthews und Samantha Foster, gehört hatten. Schließlich wollte sie mit ihren Freunden hin und musste spätestens um halb elf zu Hause sein.
Das Einzige, was Christopher und Victoria vielleicht nicht recht gewesen wäre - hätten sie es gewusst -, war die Gesellschaft von Ian Scott. Christopher und Victoria wollten nicht, dass Leanne sich mit Ian abgab. Zum einen war er zwei Jahre älter als sie, und das machte in dem Alter viel aus. Zum anderen aber hatte Ian den Ruf, ein Tunichtgut zu sein. Schon zweimal war er von der Polizei verhaftet worden, einmal wegen Autodiebstahls und ein zweites Mal wegen Verkaufs von Ecstasy in der Bar None. Außerdem war Leanne ein sehr hübsches Mädchen, schlank und wohlgeformt, mit wunderschönem goldblondem Haar, einem fast durchscheinenden Teint und blauen Augen mit langen Wimpern. Die Eltern nahmen an, dass ein älterer Junge wie Ian nur aus einem Grund Interesse an ihr haben könne. Dass er eine eigene Wohnung hatte, sprach auch nicht gerade für ihn.
Aber Leanne trieb sich einfach gern mit Ians Clique herum. Ians Freundin, an dem Abend auch mit von der Partie, hieß Sarah Ffancis, siebzehn Jahre, und der Vierte im Bunde war Mick Blair, achtzehn Jahre, ein Freund. Alle sagten übereinstimmend aus, sie wären nach dem Kino eine Zeit lang durch die Innenstadt geschlendert und dann auf einen Kaffee ins El Toro gegangen. Bei weiteren Ermittlungen fand die Polizei allerdings heraus, dass die vier in Wirklichkeit im Old Ship Inn in einer Gasse zwischen North Market Street und York Road Alkohol getrunken hatten. Sie hatten also gelogen, weil Leanne und Sarah noch minderjährig waren. Damit konfrontiert, sagten alle, Leanne sei gegen Viertel nach zehn direkt vom Pub aus aufgebrochen und zu Fuß nach Hause gegangen, ein Weg, für den sie nicht mehr als zehn Minuten gebraucht haben konnte. Sie kam aber nie an.
Obwohl Leannes Eltern sich aufregten und Sorgen machten, warteten sie bis zum Morgen, ehe sie die Polizei verständigten. Bald war eine von Banks geleitete Ermittlung in vollem Gange. Überall in Eastvale wurden Poster von Leanne aufgehängt; jeder, der an dem Abend im Kino, im Old Ship Inn oder im Stadtzentrum gewesen war, wurde verhört. Nichts. Es Wurde sogar eine Rekonstruktion des gesamten Ablaufs durchgeführt, ebenfalls ohne Ergebnis. Leanne Wray war wie vom Erdboden verschluckt. Nicht einer wollte sie nach dem Verlassen des Old Ship gesehen haben.
Ihre drei Freunde gaben an, sie seien anschließend in
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