Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
gerade erst begann. Er versuchte die Vorahnung abzuschütteln.
Banks hörte ein Miauen und drehte sich um. Es war die dünne orangebraune Katze aus dem Wald. Seit dem Frühjahr war sie des Öfteren vorbeigekommen, wenn Banks spät nachts allein draußen stand. Beim zweiten Mal hatte er ihr Milch hingestellt, die sie aufschleckte, bevor sie wieder zwischen den Bäumen verschwand. Er hatte sie noch nirgendwo anders und zu keiner anderen Uhrzeit gesehen. Einmal hatte er sogar Katzenfutter gekauft, aber sie hatte es nicht angerührt. Sie miaute einfach nur, trank die Milch, strich ihm einige Minuten um die Beine und verschwand wieder dahin, woher sie gekommen war. Banks holte eine Untertasse mit Milch und stellte sie ihr hin. Sich selbst goss er Whisky nach. Die bernsteingelben Katzenaugen glänzten zu ihm auf, bevor das Tier zu trinken begann.
Banks zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich gegen die Mauer und stellte das Glas auf den unebenen Steinen ab. Er versuchte, die furchtbaren Bilder des Tages aus seinem Kopf zu vertreiben. Die Katze rieb sich an seinem Bein und lief in den Wald zurück. Rostropowitsch spielte noch immer. Bachs präzise, mathematische Klangmuster bildeten ein seltsames Gegengewicht zur wilden, brausenden Musik der Gratly Falls, die vom jüngsten Tauwasser angeschwollen waren. Wenigstens für kurze Zeit gelang es Banks, sich in Gedanken zu verlieren.
* 6
Nach Aussage ihrer Eltern machte Melissa Horrocks, siebzehn Jahre, gerade eine rebellische Phase durch, als sie am 18. April nach einem Popkonzert in Harrogate nicht nach Hause zurückkehrte.
Steven und Mary Horrocks hatten nur eine Tochter, sie kam als später Segen, als Mary schon Mitte dreißig war. Steven arbeitete im Büro einer ortsansässigen Molkerei, Mary hatte einen Teilzeitjob bei einem Grundstücksmakler im Stadtzentrum. Mit ungefähr sechzehn Jahren begann Melissa sich für die Art von Rockmusik zu begeistern, die auf der Bühne mit dem Satanismus liebäugelt.
Auch wenn Freunde Steven und Mary beruhigten, es sei völlig harmlos - eine Trotzphase von Teenies - und bestimmt bald vorbei, waren die Eltern doch bestürzt, als ihre Tochter allmählich ihr Aussehen veränderte und Schule und Sport vernachlässigte. Zuerst färbte sich Melissa das Haar rot, dann schaffte sie sich einen Nasenstecker an und kleidete sich in Schwarz. Die Wände ihres Zimmers waren mit Postern von ausgemergelten, dämonischen Sängern wie Marilyn Man-son und mit okkulten Symbolen geschmückt, die ihren Eltern unheimlich waren.
Ungefähr eine Woche vor dem Konzert fand Melissa, das rote Haar sei doch nichts für sie, und trug wieder ihr natürliches Blond. Banks vermutete, dass ihr das rote Haar womöglich das Leben gerettet hätte. Daraus folgerte er, dass sie vor ihrer Entführung nicht beobachtet worden war - wenigstens nicht lange. Das Chamäleon würde keine Rothaarige verfolgen.
Harrogate, eine blühende viktorianische Stadt in North Yorkshire mit rund siebzigtausend Einwohnern, bekannt als Konferenzzentrum und Rentnerparadies, war nicht unbedingt der geeignete Veranstaltungsort für ein Konzert von Beelzebub's Bollocks, aber die Band war neu und musste sich einen Vertrag mit einer größeren Plattenfirma erst noch verdienen; langsam arbeitete sie sich zu größeren Gigs hoch. Wie immer hatten pensionierte Offiziere und die üblichen Wichtigtuer, die sich jeden Dreck im Fernsehen reinzogen, um Protestbriefe schreiben zu können, lauthals ein Verbot gefordert, doch waren ihre Rufe ungehört verhallt.
Ungefähr fünfhundert Jugendliche pilgerten in das umgebaute Theater, darunter Melissa und ihre Freundinnen Jenna und Kayla. Um halb elf war das Konzert vorbei, und die drei Mädchen standen noch eine Weile draußen herum und ließen die Bühnenshow Revue passieren. Um ungefähr Viertel vor elf trennten sie sich und gingen ihrer Wege. Es war ein milder Abend, Melissa wollte zu Fuß gehen. Sie wohnte nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, und ihr Heimweg führte fast ausschließlich über die geschäftige, hell erleuchtete Ripon Road. Später meldeten sich zwei Zeugen und sagten aus, Melissa um kurz vor elf gesehen zu haben, als sie an der Kreuzung West Park und Beech Grove in südliche Richtung ging. Um nach Hause zu gelangen, musste sie die Beech Grove nehmen und nach ungefähr hundert Metern abbiegen, aber sie kam nie dort an.
Die fortdauernden Streitereien mit den Eltern ließen zuerst die Hoffnung
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