Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
werden?«
»Das meiste schon. Der Mord. Die satanischen Fragen kamen im Prozess nicht zur Sprache. Wahrscheinlich dachte die Staatsanwaltschaft, es würde zu sehr nach Hokuspokus aussehen.«
»Wie kam es trotzdem heraus?«
»Einige Kinder haben es später in ihren Pflegefamilien erzählt.«
»Lucy auch?«
»Nein. Die Liversedges sagen, Lucy hätte nie davon gesprochen, was damals passiert ist. Sie hätte einfach alles verdrängt.«
»Hat man diese Gerüchte verfolgt?«
»Nein. In Cleveland, Rochdale und auf den Orkneys gab es ähnliche Vorwürfe und Verhaftungen, und es dauerte nicht lange, da schrieben alle Zeitungen darüber. Gab einen Aufschrei der Entrüstung im ganzen Land. Kindesmisshandlung breitet sich aus wie eine Seuche und so weiter. Übereifrige Sozialarbeiter. Anfragen im Parlament et cetera.«
»Ich erinnere mich«, sagte Banks.
»Die meisten Fälle sind im Sande verlaufen, und über den, der wirklich geschehen war, wollte sich niemand äußern.
Nun, Alderthorpe war nicht der einzige. 1989 gab es in Nottingham einen ähnlichen Fall, bei dem es ebenfalls zu Verurteilungen kam, aber der wurde in der Öffentlichkeit nicht so breitgetreten. Dann kam der Butler-Schloss-Bericht und die Änderung des Kinderschutzgesetzes.«
»Was ist mit Lucys richtigen Eltern passiert?«
»Die kamen ins Gefängnis. Die Liversedges wissen nicht, ob sie noch immer sitzen. Sie haben das nicht verfolgt.«
Banks trank einen Schluck Laphroaig und schnippte den Zigarettenstummel auf den leeren Kaminrost. »Lucy hat also bei den Liversedges gelebt?«
»Ja. Sie hat übrigens ihren Namen geändert. Vorher hieß sie Linda. Linda Godwin. Als die ganze Geschichte herauskam, wollte sie einen neuen Namen. Die Liversedges haben mir versichert, dass alles mit rechten Dingen zuging und gesetzlich einwandfrei ist.«
Von Linda Godwin über Lucy Liversedge zu Lucy Payne, dachte Banks. Interessant.
»Nun«, fuhr Jenny fort, »nachdem sie mir das alles erzählt hatten, hab ich noch mal nachgehakt. Und schließlich gaben sie zu, dass Lucy nicht so >normal< war, wie sie vorher behauptet hatten.«
»Ach ja?«
»Lucy hatte Probleme, sich anzupassen. Kein Wunder. Die ersten beiden Jahre, zwischen zwölf und vierzehn, war Lucy superlieb. Ein ruhiges, zurückhaltendes, rücksichtsvolles, sensibles Kind. Die Eltern machten sich schon Sorgen, dass sie ein Trauma haben könnte.«
»Und?«
»Eine Zeit lang ging Lucy zu einem Kinderpsychiater.«
»Und dann?«
»Zwischen vierzehn und sechzehn kam sie langsam aus ihrem Schneckenhaus, lehnte sich gegen die Eltern auf. Sie hörte auf, zum Psychiater zu gehen. Stattdessen trieb sie sich mit Jungs rum, schlief vermutlich mit ihnen, und dann fing das mit dem Schikanieren an.«
»Schikanieren ?«
»Ja. Zuerst hatten mir die Liversedges gesagt, es hätte nur einen einzigen Vorfall gegeben, der sich von selbst erledigt hätte, aber hinterher rückten sie damit heraus, dass es einige Probleme in der Schule gegeben hat. Lucy schüchterte kleinere Mädchen ein, die Essensgeld und so weiter an sie abdrücken mussten. So was gibt es ziemlich oft.«
»Und in Lucys Fall?«
»Eine vorübergehende Phase. Die Liversedges haben mit der Schulleitung zusammengearbeitet, und vorübergehend betrat wieder der Psychiater die Szene. Dann fing Lucy plötzlich an, sich gut zu benehmen. In den nächsten zwei Jahren, von sechzehn bis achtzehn, wurde sie ruhiger, zog sich mehr in sich zurück, schraubte ihre sozialen und sexuellen Aktivitäten herunter. Sie machte ihren Schulabschluss, bekam gute Noten und fand eine Stelle bei Nat-West in Leeds. Das ist jetzt vier Jahre her. Es sieht fast so aus, als hätte sie ihren Auszug von langer Hand vorbereitet. Seitdem hat sie nur noch flüchtigen Kontakt mit den Liversedges gehabt, und ich hatte den Eindruck, dass die beiden erleichtert waren.«
»Warum?«
»Ich kann nicht sagen, warum. Nenn es Intuition, aber ich hatte das Gefühl, dass sie irgendwann Angst vor Lucy bekommen haben, weil sie sie so geschickt manipuliert hat. Wie gesagt, das ist nur so ein Gefühl.«
»Interessant. Erzähl weiter!«
»Nachdem sie sich mit Terence Payne zusammentat, besuchte sie die Eltern noch seltener. Zuerst dachte ich, dass Payne sie vielleicht gezwungen hat, sich von Familie und Freunden abzuwenden, weißt du, so was kommt bei Gewalttätern ja öfter vor, aber jetzt
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