Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
Nachdem sie Maggie als unsichere graue Maus geschildert hatte, erwähnte Lorraine Temple noch kurz, dass Maggie eine ortsansässige Psychiaterin namens Dr. Simms frequentiere, die »jeden Kommentar verweigert« habe.
Am Schluss mutmaßte Lorraine, dass Maggie wegen ihrer psychischen Probleme möglicherweise zu naiv gewesen sei, sich mit Lucys Not identifiziert habe und dadurch blind für die Wahrheit geworden wäre. Lorraine konnte nicht rundheraus behaupten, Lucy sei schuldig - das verbaten die Gesetze gegen Verleumdung -, aber es gelang ihr ziemlich geschickt, dem Leser zu vermitteln, dass Lucy womöglich genau die Art Mensch war, die eine schwache Frau wie Maggie hinterlistig um den kleinen Finger wickeln konnte. Das war natürlich Schwachsinn, aber immerhin wirkungsvoller Schwachsinn.
Wie konnte Lorraine so was tun? Jetzt wusste es jeder.
Wann immer Maggie nun die Straße hinunterging, um einzukaufen oder den Bus in die Stadt zu nehmen, würden die Nachbarn und Ladenbesitzer sie mit anderen Augen sehen. Würden sie bemitleiden oder ihr eine Mitschuld geben. Manche würden Maggie aus dem Weg gehen und vielleicht sogar nicht mehr mit ihr reden, weil sie für ihre Begriffe zu eng mit dem Geschehen in Nr. 35 verknüpft war. Selbst Fremde, die ihr Foto gesehen hatten, würden sich Gedanken über Maggie machen. Es konnte sein, dass Claire nicht mehr vorbeikommen würde. Seit der Polizist aufgetaucht war, war sie nicht mehr dagewesen. Maggie machte sich schon Sorgen um sie.
Vielleicht würde es sogar Bill herausbekommen.
Natürlich war es ihre eigene Schuld. Sie hatte sich in Gefahr begeben. Sie hatte versucht, der armen Lucy einen Gefallen zu tun, ihr öffentliches Mitgefühl zu sichern, aber der Schuss war nach hinten losgegangen. Wie dämlich war sie gewesen, Lorraine Temple zu trauen! Ein beschissener Artikel wie dieser, und ihre ganze neue, zerbrechliche, sichere Welt fiel in sich zusammen. Einfach so. Das war nicht gerecht, sagte Maggie zu sich und weinte am Frühstückstisch. Das war einfach nicht gerecht.
Nach kurzem, aber erquickendem Schlaf - vielleicht dank Laphroaig und Duke Ellington, beides großzügig dosiert - saß Banks am Freitagmorgen um halb neun wieder in seinem Kabuff in Millgarth. Als Erstes flatterte eine Nachricht von Stefan Nowak auf seinen Schreibtisch, die ihn informierte, dass das in Paynes' Garten ausgegrabene Skelett nicht die sterblichen Überreste von Leanne Wray seien. Wenn Banks noch die leiseste Hoffnung gehegt hätte, Leanne könne nach all der langen Zeit am Leben und wohlauf sein, wäre er vor Freude in die Luft gesprungen. Stattdessen rieb er sich frustriert die Stirn. Sah aus, als würde es wieder einer von diesen Tagen werden. Er tippte Stefans Handynummer ein, der nach dem dritten Klingeln dranging. Stefan unterhielt sich gerade mit jemandem, flüsterte etwas zur Seite und schenkte Banks dann seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Entschuldigung«, sagte er.
»Probleme?«
»Das übliche Frühstückschaos. Ich versuche nur, aus dem Haus zu kommen.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Hören Sie, wegen der Identifizierung ...«
»Die ist eindeutig. Zahnabdrücke. DNA braucht etwas länger. Leanne Wray ist es auf gar keinen Fall. Ich will gerade wieder zurück zum Haus. Die Jungs graben immer noch.«
»Wer kann es dann um alles in der Welt sein?«
»Keine Ahnung. Ich habe bisher nur herausbekommen können, dass es eine junge Frau ist, zwischen siebzehn, achtzehn und Anfang zwanzig, dass sie ein paar Monate da gelegen hat und eine Menge Edelstahl in den Zähnen hat, unter anderem eine Krone.«
»Was heißt das?«, fragte Banks. Irgendwo klingelte es bei ihm.
»Sie kommt möglicherweise aus Osteuropa. Da wird noch viel mit Edelstahl gearbeitet.«
Genau. Das hatte Banks schon mal gehört. Ein Zahnarzt der Gerichtsmedizin hatte ihm einmal erzählt, die Russen verwendeten Edelstahl. »Osteuropäerin?«
»Kann sein, Sir.«
»Okay. Besteht die Möglichkeit, dass wir noch vor dem Wochenende den DNA-Vergleich von Payne mit dem Vergewaltiger von Seacroft bekommen?«
»Ich werde mich heute Vormittag mit denen in Verbindung setzen, mal sehen, vielleicht kann ich ja ein bisschen Druck machen.«
»Gut. Danke. Bleiben Sie dran, Stefan!«
»Klar doch.«
Banks legte auf, verwirrter als je zuvor. Nach Gründung der Soko hatte AC Hartnell als eine der ersten Maßnahmen eine Sondereinheit eingerichtet,
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