Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
nichts an, selbst wenn Sie von der Polizei sind. Ich dachte, wir lebten in einem freien Land.«
»Es war eine ganz einfache Frage, Mr. Ford. Sie brauchen sich nicht aufzuregen.«
Fords Stimme wurde schriller. »Ich rege mich nicht auf. Aber Sie lassen einfach nicht locker. Ich kann es nicht leiden, wenn andere sich so festbeißen. Ich hab Ihnen nichts zu sagen. Sprechen Sie mit Lauren. Lassen Sie mich in Ruhe.«
Eine Weile starrte Banks den Lehrer an. Ford wich seinem Blick aus. »Wenn ich herausbekomme, dass Sie mich angelogen haben, Mr. Ford, dann komme ich wieder. Haben Sie das verstanden?«
»Ich lüge nicht. Ich hab nichts getan. Lassen Sie mich in Ruhe.«
Bevor Banks ging, zeigte er Ford das Phantombild des Mädchens, das Josie Batty zusammen mit Luke gesehen hatte. Ford warf kaum einen Blick darauf und sagte, er kenne das Mädchen nicht. Zweifelsohne war dieser Lehrer sonderbar, dachte Banks im Auto, aber allein deswegen konnte man die Leute ja nicht verhaften. Die Musik wurde wieder lauter. Mit Lacrimosa von Verdi im Rücken fuhr Banks nach Lynd-garth.
»Vielen Dank, dass Sie sich um die Freigabe gekümmert haben«, sagte Mrs. Marshall. »Übermorgen wollen wir den Gedenkgottesdienst in St. Peter abhalten. Joan kommt extra noch mal her. Ich muss sagen, der Pfarrer war sehr nett, obwohl wir alle nicht regelmäßig in die Kirche gehen. Kommen Sie auch?«
»Ja, sicher«, sagte Michelle. »Da wäre nur noch eine Kleinigkeit.«
»Was denn, meine Liebe?«
Michelle erklärte, dass man die Rippe als Beweisstück brauchte.
Mrs. Marshall runzelte die Stirn und dachte kurz nach. »Ich glaube nicht, dass so eine kleine Rippe einen großen Unterschied macht, oder? Schon gar nicht, wenn sie Ihnen helfen kann.«
»Danke«, sagte Michelle.
»Sie sehen müde aus, meine Liebe. Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Alles klar.« Michelle gelang ein schwaches Lächeln.
»Gibt es sonst was Neues?«
»Nein, leider nicht. Nur neue Fragen.«
»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch erzählen könnte, aber bitte, fragen Sie.«
Michelle lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Es würde kompliziert werden. Herauszufinden, ob Graham Dummheiten gemacht hatte, ohne anzudeuten, dass er in kriminelle Machenschaften verwickelt war, schien Michelle fast ein Ding der Unmöglichkeit. So etwas würde seine Mutter niemals zugeben. Aber versuchen musste es Michelle. »War Graham mal längere Zeit fort von zu Hause?«
»Was meinen Sie damit? Ob wir ihn weggeschickt haben?«
»Nein. Aber Sie wissen ja, wie Kinder so sind. Manchmal sind sie einfach verschwunden, ohne dass sie den Eltern Bescheid gesagt haben. Man wird fast krank vor Sorge, und sie können es überhaupt nicht verstehen.«
»Oh, ich weiß, was Sie meinen. Da war unser Graham nicht anders als die anderen Kinder. Hin und wieder kam er zu spät zum Abendessen, und ein-, zweimal war er nicht pünktlich um neun Uhr zu Hause. An vielen Tagen haben wir von morgens bis abends nichts von ihm gesehen. Aber natürlich nicht, wenn Schule war. Nur am Wochenende und in den Ferien war er ein bisschen unzuverlässig.«
»Hatten Sie eine Vorstellung, wo er war, wenn er zu spät kam?«
»Mit seinen Freunden unterwegs. Manchmal hatte er auch seine Gitarre dabei. Sie haben zusammen geprobt. Die Band.«
»Wo haben sie geprobt?«
»Bei David Grenfell.«
»Kam er, abgesehen von den Proben, sonst öfter mal zu spät?«
»Hin und wieder. Er war ein ganz normaler Junge.«
»Wie viel Taschengeld bekam er?«
»Fünf Shilling die Woche. Mehr konnten wir uns nicht leisten. Aber er hat ja Zeitungen ausgetragen, da hat er sich was dazuverdient.«
»Und Sie haben ihm sämtliche Kleidungsstücke gekauft?«
»Wenn er etwas Bestimmtes haben wollte, hat er drauf gespart. Zum Beispiel einen schwarzen Beatles-Rolli. So ähnlich wie der, den er auf dem Foto trägt.«
»Ihm fehlte es also an nichts?«
»Nein. Nichts, was man gesehen hätte. Wieso? Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich versuche nur, mir eine Vorstellung von seinem Leben zu machen, Mrs. Marshall. Dann kann ich besser nachvollziehen, was mit ihm passiert ist, wer angehalten und ihn mitgenommen hat.«
»Glauben Sie, dass er denjenigen kannte?«
»Das habe ich nicht gesagt, aber es ist gut möglich.«
Mrs. Marshall nestelte an ihrer Kette. Offensichtlich beunruhigte sie die Vorstellung. War es der Schock,
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