Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht für sein altes Leben mit Sandra und den Kindern interessierte; das gehörte zu den Problemen, die sich zwischen ihn und Annie geschoben und zum Ende ihrer kurzen Affäre geführt hatten.
Es war ein schöner Sommertag, wie sie ihn schon länger nicht mehr erlebt hatten. Diesmal fuhren sie mit Banks' Wagen, das war ihm lieber. Die Fensterscheiben waren heruntergelassen, und Marianne Faithfull sang »Summer Nights«. Damals, bevor Alkohol, Drogen und Zigaretten ihren Tribut gefordert hatten, war ihre Stimme noch voll und weich. Das Lied war ein Hit aus dem Jahr 1965. Es spiegelte die Stimmung jenes umtriebigen Sommers.
»Es ist nicht zu glauben, dass du dir immer noch diesen Kram anhörst«, sagte Annie.
»Wieso?«
»Weiß nicht. Das ist einfach total... alt.«
»Ist Beethoven auch.«
»Schlaues Bürschchen. Du weißt genau, was ich meine.«
»Ich war richtig verrückt nach ihr.«
Annie sah ihn von der Seite an. »Nach Marianne Faithfull?«
»Ja. Wieso nicht? Sie ist immer in Ready, Steady, Go! und in Top of the Pops aufgetreten, wenn sie eine neue Platte rausgebracht hatte. Dann saß sie da mit ihrer Gitarre auf dem Hocker wie ein Schulmädchen. Aber dazu trug sie ein weit ausgeschnittenes Kleid, hatte die Beine übereinander geschlagen, und wenn man diese süße Stimme hörte, dann wollte man am liebsten ...«
»Ja, was?«
Banks hielt vor einer Ampel und grinste Annie an. »Du verstehst schon, was ich meine. Sie sah einfach so unschuldig, so unberührt aus.«
»Aber wenn das stimmt, was man sich über sie erzählt, dann hat sie ganz schön durch die Gegend gevögelt, oder? Alles andere als unberührt, würde ich sagen.«
»Vielleicht war das ja gerade der Kick«, lenkte Banks ein. »Man wusste einfach, dass sie ... es auch machte. Man hörte so viele Geschichten. Über Gene Pitney. Mick Jagger. Die ganzen Partys und so.«
»Heilige und Hure in einer Person«, sagte Annie. »Wie praktisch.«
»Mensch, Annie, ich war doch noch ein Kind.«
»Aber ein ganz schön geiles, wie mir scheint.«
»Na, an was hast du denn mit vierzehn gedacht?«
»Weiß nicht. An Jungs vielleicht schon, aber nicht in sexueller Hinsicht. An Spaß. Romantik. Klamotten. Schminken.«
»Vielleicht hab ich deshalb immer für ältere Frauen geschwärmt«, sagte Banks.
Annie stieß ihm in die Rippen.
»Aua! Was soll das?«
»Weißt du genau. Park hier! Männer!«, sagte sie, als Banks anhielt. Sie stiegen aus. »Wenn sie jung sind, wollen sie ältere Frauen, wenn sie alt sind, wollen sie junge Hüpfer.«
»Inzwischen«, sagte Banks, »nehme ich, was ich kriegen kann.«
»Wie charmant.« Annie drückte auf die Klingel, kurz darauf sahen sie durch das Milchglas, dass jemand auf sie zukam.
Lauren Anderson trug eine Jeans und einen dünnen Pullover mit V-Ausschnitt und war nicht geschminkt. Sie war jünger, als Banks erwartet hatte, gertenschlank, hatte volle Lippen, ein blasses, ovales Gesicht und hellblaue Augen mit schweren Lidern. Das kastanienbraune Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie schlang die Arme um sich, als sei ihr kalt.
»Polizei«, sagte Banks und streckte ihr den Ausweis entgegen. »Dürfen wir reinkommen?«
»Natürlich.« Lauren trat zur Seite.
»Hier?«, fragte Banks und zeigte auf einen Raum, den er für das Wohnzimmer hielt.
»Wenn Sie möchten. Trinken Sie einen Tee?«
»Gerne«, sagte Annie und folgte Lauren in die Küche.
Banks hörte, wie sich die Frauen unterhielten. Rasch sah er sich um und war beeindruckt von den beiden Wänden voller Bücher. Die Regale bogen sich unter der Last der Klassiker, die Banks schon immer hatte lesen wollen, ohne je dazu gekommen zu sein. Die ganzen Viktorianer, dazu die großen Russen und Franzosen. Einige jüngere Werke von Ian McEwan, Graham Swift, A. S. Byatt. Auch einiges an Lyrik, von Heaneys Übersetzung des Beowulf bis zur neuesten Ausgabe der Poetry Review auf dem Couchtisch. Und Theaterstücke: Tennessee Williams, Edward Albee, Tom Stoppard, die Elisabethaner und die Jakobiner. Eine Ecke war der Kunst gewidmet, eine andere der klassischen Mythologie. Außerdem reihenweise Literaturkritik von der Poetik Aristoteles' bis zu David Lodges Meinung über die Auswüchse des Poststrukturalismus. Die Musik im CD-Ständer war überwiegend klassisch, in erster Linie Bach, Mozart, Händel.
Banks
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