Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
ihnen erzählt?«
Lauren schwieg kurz. »Nicht viel. Man merkte, dass er zu Hause nicht sehr glücklich war. Er liebte seine Mutter, sagte er, aber ich hatte den Eindruck, dass er mit seinem Stiefvater nicht zurechtkam.«
Das konnte Banks sich gut vorstellen. Martin Armitage war ein körperlich stark präsenter, dominierender Mensch, der daran gewöhnt war, seine Meinung durchzusetzen. Seine Interessen mussten denen seines Stiefsohns diametral entgegengestanden haben. »Hatten Sie den Eindruck, dass der Stiefvater Luke auf irgendeine Art misshandelte?«
»Du lieber Himmel, nein«, sagte Lauren. »Er wurde nie geschlagen oder sonst wie misshandelt, nein. Die beiden waren einfach ... so verschieden. Sie hatten keine Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel war Luke Fußball schnurzegal.«
»Wollte er seine Situation ändern?«
»Nein. Was hätte er tun sollen? Er war erst fünfzehn. Vielleicht wäre er in ein, zwei Jahren ausgezogen, aber das werden wir nicht mehr erfahren, oder? Vorerst musste er sich damit abfinden.«
»Kinder finden sich mit viel schlimmeren Sachen ab«, bemerkte Banks.
»Allerdings. Die Familie ist wohlhabend, materiell fehlte es Luke an nichts. Ich glaube, seine Mutter und sein Stiefvater haben ihn sehr geliebt. Er war ein sensibler, kreativer junger Mensch mit einem rüpeligen Stiefvater und einer hohlköpfigen Mutter.«
Banks fand Robin Armitage nicht hohlköpfig, aber vielleicht hatte Lauren ja die üblichen Vorurteile gegen Models. »Was ist mit Neil Byrd?«, fuhr Banks fort. »Hat Luke jemals über ihn gesprochen?«
»Selten. Er regte sich immer sehr auf, wenn die Rede auf ihn kam. Wurde sogar richtig böse. Luke hatte vieles noch nicht aufgearbeitet. Da hielt man sich besser zurück.«
»Können Sie das genauer erklären?«
Lauren runzelte die Stirn. »Ich denke, er war zornig, weil er seinen Vater nie richtig kennen gelernt hat. Weil Neil Byrd ihn und die Mutter verlassen hat, als Luke noch ein Baby war, und weil er sich dann umgebracht hat. Können Sie sich vorstellen, wie man sich fühlt? Wenn man seinem Vater nicht einmal so viel bedeutet, dass er am Leben bleibt, um einen aufwachsen zu sehen?«
»Gab es irgendwas, das ihn in letzter Zeit besonders beschäftigt hat, hat er Ihnen gegenüber irgendwas erwähnt?«
»Nein. Als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, zum Ende des Schuljahres, da freute er sich auf die Sommerferien. Ich habe ihm Lektüretipps gegeben.«
»Ein Porträt des Künstlers als junger Mann und Schuld und Sühne?«
Laurens Augen weiteten sich. »Genau. Woher wissen Sie das?«
»Uninteressant«, sagte Banks. »Wie genau lief das mit Ihrem Einzelunterricht?«
»Normalerweise habe ich ihm eine Lektüre aufgetragen, einen Roman oder bestimmte Gedichte, dann haben wir uns hier getroffen und darüber gesprochen. Oft war die Literatur der Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen über Kunst, Geschichte, griechische und römische Mythologie. Er hatte ein weit fortgeschrittenes Literaturverständnis. Und er war unersättlich.«
»Fortgeschritten genug für Rimbaud, Baudelaire, Verlaine?«
»Rimbaud war selbst noch ein Kind. Und es gibt viele Jugendliche, die sich zu Baudelaire hingezogen fühlen.«
»Le Poëte se fait voyant par un long, immense et raisonné déreglement de tous les sens«, zitierte Banks mit einem Akzent, der, wie er hoffte, nicht völlig unverständlich war. »Sagt Ihnen das was?«
»Natürlich. Das ist Rimbauds Beschreibung der von ihm verwendeten Methode, um ein Seher zu werden. Die systematische Entregelung aller Sinne.«
»Das steht an der Wand von Lukes Zimmer. Gehörte dazu auch, Drogen zu nehmen?«
»Nicht dass ich wüsste. Jedenfalls nicht in Lukes Fall. Bei dem Zitat geht es darum, offen für Experimente jeder Art zu sein. Ehrlich gesagt, hat es mir nicht gefallen, dass Luke so fasziniert von Rimbaud war. Sehr oft interessieren sich die jungen Leute mehr für das romantische Ideal des gequälten jungen Dichters als für das Werk selbst.«
Banks wollte sich nicht in die Tiefen der Literaturkritik begeben, er schlug eine andere Richtung ein. »Sie standen Luke sehr nahe, stimmt's?«
»Auf gewisse Weise schon. Wenn man ihm denn nahe stehen konnte. Er war schwer zu fassen, wechselhaft wie ein Chamäleon, oft launisch, still und in sich gekehrt. Aber ich mochte ihn, ich hab an seine Begabung geglaubt, wenn Sie das meinen.«
»Wenn
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