Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
hatte?«
»Ganz bestimmt nicht.«
»Hat er Ihnen nie etwas erzählt?«
»Ich glaube nicht, dass er eine Freundin hatte.«
»Alle, mit denen ich gesprochen habe, behaupten, dass er sehr reif für sein Alter gewesen sei und ein hübscher Junge war. Warum sollte er keine Freundin haben?«
»Er hat nie ...«
»Es kann ja ein Mädchen gewesen sein, von dem Sie nicht besonders erbaut gewesen wären. Vielleicht sogar Liz Palmer, das Mädchen aus der Band.«
»Glauben Sie, dass er deswegen umgebracht wurde? Wegen diesem Mädchen?«
»Das wissen wir nicht. Ist nur eine Möglichkeit, über die wir nachgedacht haben. Was ist mit Lauren Anderson?«
»Miss Anderson? Aber das war seine Englischlehrerin. Sie glauben doch nicht im Ernst...«
»Ich weiß es nicht. Ist ja nicht so, dass so was nicht vorkäme. Und Rose Barlow?«
»Rose? Die Tochter vom Direktor? Sicher, die war mal hier, aber da war doch nichts dahinter.«
»Rose Barlow war mal hier? Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
»Das ist schon ewig her.«
»War es im Februar? März?«
»So ungefähr. Ja. Woher wissen Sie das?«
»Luke und Rose sind in der Zeit zusammen gesehen worden. Man hielt sie für ein Paar.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Robin. »Es ging damals um eine Projektarbeit.«
»Hat sie ihn öfter besucht?«
»Nur einmal.«
»Und sie ist nicht noch mal wiedergekommen?«
»Nein.«
»Hat Luke mal von ihr erzählt?«
»Er hat nur gesagt, dass er schließlich fast die gesamte Arbeit allein machen musste, mehr nicht. Hören Sie, ich verstehe das nicht, diese Fragen. Glauben Sie nicht, dass er durch East-vale gelaufen ist und plötzlich entführt wurde?«
»Nein«, sagte Annie. »Das glaube ich auf gar keinen Fall.«
»Was glauben Sie denn?«
Annie erhob sich. »Ich brauche noch ein bisschen Zeit«, sagte sie. »Ich bin nah dran.«
Noch vor dem Mittagessen hatte Michelle drei wichtige Entdeckungen gemacht. Ein schöner Erfolg, dachte sie. Wer hatte noch mal den Vorsatz gehabt, vor dem Frühstück sechs unwahrscheinliche Dinge zu glauben ? Alice in Hinter den Spiegeln?
Nun, was Michelle herausgefunden hatte, war alles andere als unwahrscheinlich. Zuerst hatte sie sich noch einmal das Dienstbuch aus dem Sommer 1965 vorgenommen und die Stelle gefunden, wo das Mandeville-Haus erwähnt wurde. Am ersten August hatte ein anonymer Anrufer behauptet, dort gebe es Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen und Homosexuelle. Außerdem vermutete er Drogenmissbrauch. Ein junger Constable namens Geoff Talbot war losgezogen, um die Angelegenheit zu überprüfen, und hatte zwei Männer nackt im Schlafzimmer vorgefunden und festgenommen. Danach fand sich über diesen Zwischenfall nur noch die Bemerkung, von einer Anklageerhebung sei abgesehen worden, man habe sich offiziell bei Mr. Rupert Mandeville entschuldigt, der, wie eine Internetrecherche Michelle verriet, von 1979 bis 1990 für die Konservativen im Parlament gesessen hatte und 1994 zum Peer auf Lebenszeit ernannt worden war.
Etwas länger brauchte Michelle, um Geoff Talbot ausfindig zu machen. Er hatte 1970 den Polizeidienst quittiert und war Berater eines Fernsehsenders geworden. Schließlich fand sie mit Hilfe eines geduldigen Angestellten der Personalabteilung Talbots Adresse in Barnet, einem Vorort im Norden Londons. Sie rief ihn an, und er erklärte sich bereit, mit ihr zu sprechen.
Constable Collins hatte beim Grundbuchamt erfahren, dass Donald Bradfords Kiosk einer Firma des verstorbenen Carlo Fiorino gehört hatte, dem Drahtzieher der Unterwelt von Peterborough. Zu derselben Firma gehörten auch die Diskothek Le Phonographe und andere Zeitschriftenläden in und um Peterborough. Bradford verkaufte seinen Laden an die Walkers, doch viele der anderen Geschäfte blieben bis weit in die Siebziger in Fiorinos Besitz.
Was das alles zu bedeuten hatte, konnte Michelle nicht abschätzen, aber es hatte doch den Anschein, als hätte Carlo Fiorino die perfekte Vertriebskette für seine Pornos gefunden. Und wer wusste schon, was er sonst noch alles verkaufte.
Vielleicht Drogen? Vielleicht hatten die Werbetafeln im Schaufenster des Zeitschriftenladens einen hintergründigeren Sinn.
Während der Fahrt auf der A1 Richtung Barnet besprach Michelle ihre Überlegungen mit Banks. Sie ließ den Rückspiegel nicht aus den Augen. Es nieselte. Ein grauer Passat blieb ein bisschen
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