Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Sie lagen nur ... sehr nah zusammen. Ich hatte so was noch nie gesehen. Ich meine, ich wusste, dass es Homosexuelle gibt, ich war nicht naiv, aber mit eigenen Augen gesehen hatte ich das noch nicht.«
»Sah einer der beiden aus, als wäre er minderjährig?«
»Nein. Den einen habe ich auf Anfang zwanzig geschätzt, den anderen älter, vielleicht vierzig. Aber damals war das Alter ja uninteressant.«
»Wie haben Sie reagiert?«
»Ich ... ähm ... hab die beiden festgenommen.«
»Haben sie Widerstand geleistet?«
»Nein. Sie haben gelacht, sich angezogen und sind mit mir zum Revier gekommen.«
»Was geschah dann?«
»Jet Harris wartete schon auf mich. Er war fuchsteufelswild.«
»Er wartete auf dem Revier auf Sie? An einem Sonntagmorgen?«
»Ja. Ich nehme an, er war von Mandevilles Haus aus verständigt worden.«
»Wahrscheinlich wurde er aus der Kirche geholt«, bemerkte Banks. »Wie reagierte er?«
»Er hat sich mit den beiden Männern unterhalten und sie dann gehen lassen. Anschließend hat er sich mich vorgeknöpft. Das war es. Keine weiteren Maßnahmen.«
»Nur so aus Interesse«, sagte Michelle. »Wie alt war Rupert Mandeville damals?«
»Ziemlich jung. Mitte dreißig. Seine Eltern waren kurz vorher bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, das weiß ich noch. Er hatte ein Vermögen geerbt, trotz Erbschaftssteuer. Er hat einfach das gemacht, was viele junge Leute tun würden, wenn sie keiner im Auge behält und ihnen unbegrenzte Mittel zur Verfügung stehen.«
»Sagt Ihnen der Name Donald Bradford etwas?«, wollte Michelle wissen.
»Nein, noch nie gehört.«
»Bill Marshall?«
»Das war einer von Fiorinos Schlägern. Bin ein paarmal im Le Phonographe mit ihm zusammengestoßen. Harter Kerl. Dumm wie das sprichwörtliche Bohnenstroh.«
»Vielen Dank, Mr. Talbot.«
»Gern geschehen. Ich weiß zwar nicht, wie ich Ihnen geholfen habe, aber ...«
Banks zeigte Talbot das Foto von Graham. »Kennen Sie diesen Jungen?«
Talbot erblasste. »Mein Gott, ist das nicht der Junge, der ...? Vor ein paar Wochen war doch ein Bild von ihm in der Zeitung.«
»Haben Sie ihn im Haus von Mandeville gesehen?«
»Nein ... ich ... aber das ist das Zimmer. Mandevilles Salon. Ich erinnere mich an das Schaffell und an den Kamin. Bedeutet es das, was ich vermute? Dass der Tod des Jungen mit Mandeville und Harris zu tun hat?«
»Ja«, antwortete Michelle. »Wir wissen nur noch nicht genau, wie.«
Talbot tippte auf das Foto. »So was hat uns damals gefehlt. Dann hätten wir was in der Hand gehabt«, sagte er.
»Schon möglich«, sagte Banks. »Wenn es an die Öffentlichkeit gelangt wäre.«
Alle drei erhoben sich, Talbot brachte die Gäste zur Tür. »Wissen Sie«, sagte er, »damals hatte ich das Gefühl, dass mehr dahinter steckte. Ich hab mich oft gefragt, was wohl passiert wäre, wenn ich etwas hartnäckiger gewesen wäre, wenn ich nicht einfach locker gelassen hätte.«
»Wahrscheinlich hätten Sie zusammen mit Graham Marshall die Radieschen von unten angesehen«, sagte Banks. »Auf Wiedersehen, Mr. Talbot. Und vielen Dank.«
Als Annie klingelte, war Gavin Barlow im Arbeitszimmer. Er schlug ihr vor, sich dort mit ihm zu unterhalten. Es war ein heller, luftiger Raum mit sehr viel Platz. Die Bücherregale wirkten nicht so bedrückend wie in Gristhorpes Büro. Barlow schob sein Laptop zur Seite und grinste. »Die meisten haben vielleicht Sommerferien«, sagte er, »aber bei manchen hört die Arbeit nie auf.«
»Ich will Sie nicht lange aufhalten«, sagte Annie. »Es geht um Ihre Tochter.«
»Um Rose. Die ist leider unterwegs.«
»Vielleicht können Sie meine Fragen beantworten.«
»Ich werd's versuchen. Aber hören Sie, falls Rose irgendwelchen Ärger haben sollte ...«
»Was dann?«
»Weiß nicht. Vielleicht rufe ich besser meinen Anwalt an oder so.«
»Warum sollten Sie das tun?«
»Sagen Sie mir einfach, warum Sie hier sind.«
»Ihre Tochter ist auf dem Polizeirevier gewesen und hat Lauren Anderson und Luke Armitage ziemlich schwer beschuldigt.«
»Sie hat was?«
»Und jetzt hat sich herausgestellt, dass sie im Frühjahr enger mit Luke befreundet war. Sie hat ihn sogar mindestens einmal in Swainsdale Hall besucht. Ist Ihnen das bekannt?«
»Natürlich. Es war ein Projekt, bei dem die Schüler in Zweiergruppen arbeiten sollten. Um
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