Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
will einfach nichts Ungewöhnliches einfallen. Vielleicht hab ich ihn doch nicht so gut gekannt.«
Michelle hatte das starke Gefühl, dass Banks etwas wusste und ihr vorenthielt. Den Grund kannte sie natürlich nicht, aber sie spürte es ganz deutlich.
»Nummer zwölf?« Ein junges Mädchen kam mit zwei Tellern aus dem Pub.
Banks warf einen Blick auf den Zettel, den die Bedienung ihm gegeben hatte. »Hier!«, rief er.
Das Mädchen stellte das Essen ab. Michelle starrte auf ihr Shrimps-Sandwich. Sie wusste nicht, ob sie es schaffen würde. Eine Weile schaufelte Banks den Yorkshire Pudding in sich hinein, dann sagte er: »Bevor Graham die Zeitungen ausgetragen hat, war das mein Job, allerdings noch unter einem anderen Inhaber. Das Geschäft gehörte den Thackerays, bis der alte Thackeray TB bekommen hat und der Laden den Bach runterging. Dann hat Bradford übernommen und ihn wieder aufgebaut.«
»Aber Sie haben nicht wieder bei ihm angefangen?«
»Nein. Ich hatte einen Nachmittags-Job in der Pilzfarm hinter den Schrebergärten. Dreckige Arbeit, aber gut bezahlt, wenigstens für damalige Verhältnisse.«
»Gab es mal Probleme auf Ihrer Zeitungstour?«
»Nein. Hab schon auf der Hinfahrt darüber nachgedacht, aber mir ist nichts eingefallen.«
»Sie sind nie von einem Fremden ins Haus gebeten worden oder so?«
»Einen Typ gab es damals, der immer ein bisschen komisch war, aber wahrscheinlich war der harmlos.«
»Ach ja?« Michelle zückte ihr Notizbuch. Das Sandwich lag immer noch unberührt auf ihrem Teller, jetzt wurde eine Schmeißfliege darauf aufmerksam.
Banks verscheuchte die Fliege. »Essen Sie es besser«, sagte er.
»Was war das für ein Mann, von dem Sie gerade gesprochen haben?«
»Die Hausnummer weiß ich nicht mehr, aber er wohnte ziemlich am Ende von Hazel Crescent, bevor man die Wilmer Road überquert. Er war so ungefähr der Einzige, der so früh morgens wach war, und manchmal hatte ich das Gefühl, er wäre überhaupt nicht im Bett gewesen. Er kam immer im Schlafanzug an die Tür und lud mich ein, auf eine Zigarette oder ein Bier hereinzukommen, aber ich hab immer abgelehnt.«
»Warum haben Sie abgelehnt?«
Banks zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Instinkt. Irgendwas stimmte mit dem nicht. Vielleicht roch er komisch. Als Kind hat man manchmal einen sechsten Sinn für Gefahr. Wenn man Glück hat, geht der nicht verloren. Meine Eltern hatten mir eingebläut, dass ich keine Süßigkeiten von Fremden annehmen darf, dementsprechend habe ich mich wohl auch auf sonst nichts eingelassen.«
»Harry Chatham«, sagte Michelle.
»Was?«
»Das muss Harry Chatham gewesen sein. Sein Körpergeruch war besonders auffällig.«
»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Er wurde damals verdächtigt, dann aber entlastet. Sie haben gut dran getan, sich von ihm fernzuhalten. Er war aktenkundig, weil er sich vor kleinen Jungen entblößt hatte. Aber mit Graham hatte er nichts zu tun.«
»Ist das hundertprozentig sicher?«
Michelle nickte. »Er war an besagtem Wochenende zum Urlaub in Great Yarmouth. Ist erst am Sonntagabend zurückgekommen. Hatte jede Menge Zeugen. Jet Harris hat ihn mit Sicherheit in die Mangel genommen.«
Banks grinste. »Jet Harris. Den Namen hab ich seit Jahren nicht mehr gehört. Wissen Sie, als ich klein war, hieß es immer: Wenn du nicht lieb bist, kommt Jet Harris und steckt dich ins Gefängnis. Wir hatten alle Schiss vor ihm, auch wenn ihn keiner von uns kannte.«
Michelle lachte. »Das ist heute fast immer noch so«, sagte sie.
»Er ist doch wahrscheinlich schon tot, oder?«
»Vor acht Jahren gestorben. Aber die Legende lebt.« Michelle griff zu ihrem Sandwich und biss hinein. Es war lecker. Sie merkte, dass sie doch Hunger hatte, und schnell war es zur Hälfte vertilgt. »Sonst noch irgendwas?«, fragte sie.
Wieder spürte sie, dass Banks zögerte. Sein Teller war leer, er griff zur Zigarettenschachtel. Verzögerungstaktik. Lustig, so was hatte sie schon vorher bei Vernehmungen erlebt. Diesem Mann lag etwas auf der Seele, und er rang mit sich, ob er es ihr erzählen sollte. Michelle wusste, dass sie ihn nicht bedrängen konnte, und sah deshalb zu, wie er die Zigarette zwischen die Lippen steckte und mit dem Feuerzeug herumhantierte. Und sie wartete.
Annie bedauerte, das Rauchen aufgegeben zu haben. Dann hätte sie jetzt wenigstens etwas zu tun gehabt,
Weitere Kostenlose Bücher