Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Entführungen. Vielleicht wollte Luke fliehen, oder er hat sich zu stark gewehrt...«
»Trotzdem könnte der Entführer das Geld abholen. Sie dürfen nicht vergessen: Die Armitages wissen es nicht, falls ihr Sohn tot ist, und das Geld wartet nur darauf, abgeholt zu werden. Wenn Sie keiner gesehen hat, dann wissen nur Martin Armitage und der Entführer, dass es da liegt.«
»Und genau das verwirrt mich, Sir. Das Geld. Wenn ein Entführer Lösegeld fordert, dann will er es doch haben, egal ob das Opfer lebt oder nicht. Vielleicht ist er nur übervorsichtig, wartet auf die Dunkelheit, wie ich eben schon sagte.«
»Kann sein.« Gristhorpe sah auf die Uhr. »Wer ist jetzt auf dem Posten?«
»DC Templeton.«
»Stellen Sie einen Einsatzplan auf. Ich werde beantragen, dass ein elektronischer Sender in der Aktentasche versteckt wird. Das sollen die dann bei Dunkelheit machen, falls das Teil bis dahin noch nicht abgeholt worden ist.« Gristhorpe knurrte. »Wenn, dann machen wir's richtig. McLaughlin zieht mir sowieso das Fell über die Ohren.«
»Sie können doch die Schuld auf mich schieben, Sir.«
»Jaja, das würde Ihnen so gefallen, Annie, was? Mal wieder gegen die da oben aufmucken?«
»Aber ...«
»Ist schon gut, Mädchen. War nur ein Witz. Wissen Sie immer noch nicht, wie das in Yorkshire läuft?«
»Manchmal glaube ich, ich lerne es nie«
»Immer mit der Ruhe. Egal, ist schließlich mein Job, mich mit den Dekorierten rumzuschlagen.«
»Was ist mit der Familie Armitage?«
»Ich würde sagen, Sie besuchen sie nolvmal, oder?«
»Und wenn der Entführer das Haus überwacht?«
»Der Entführer kennt Sie doch nicht.« Gristhorpe grinste. »Und Sie sehen nicht gerade wie eine Polizeibeamtin in Zivil aus, Annie.«
»Und ich dachte, ich hätte mich so konservativ wie möglich angezogen.«
»Sie müssen nur wieder in diesen roten Stiefeln kommen. Wird das Telefon immer noch abgehört?«
»Ja.«
»Wie kann er dann ...«
»Hab ich mich auch gefragt. Martin Armitage hat gesagt, Luke hätte auf seinem Handy angerufen. Ich nehme an, er meinte den Anruf des Entführers.«
»Aber wieso benutzt der nicht die normale Telefonleitung?«
»Armitage sagte, er wollte gestern Abend eigentlich mit Robin essen gehen, deshalb hätte Luke wohl gedacht, sie wären nicht zu Hause.«
»Luke soll geglaubt haben, dass seine Eltern essen gehen, obwohl er verschwunden ist? Und das soll er seinem Entführer gesagt haben?«
»Ich weiß, das hört sich sonderbar an. Und so, wie ich es sehe, ist Martin Armitage der letzte Mensch, den Luke anrufen würde.«
»Ah, verstehe. Gibt es Hinweise auf familiäre Spannungen?«
»Nichts, was offen zu Tage tritt, aber ich bin mir ganz sicher, dass da was im Busch ist. Luke kommt ganz nach seiner Mutter, vielleicht auch nach seinem leiblichen Vater. Er ist kreativ, künstlerisch veranlagt, ein Einzelgänger und ein Träumer. Martin Armitage ist ein Mann der Tat, ein Sportler, ein kleiner Macho, ein Angeber.«
»Dann seien Sie vorsichtig, Annie. Sie wollen doch nicht in ein Schlangennest treten.«
»Und wenn ich keine andere Wahl habe, um ehrliche Antworten auf meine Fragen zu bekommen?«
»Dann gehen Sie auf Zehenspitzen und nehmen einen großen Knüppel mit.«
»Werd ich mir merken.«
»Und geben Sie das Kind nicht auf. Es ist noch nicht aller Tage Abend.«
»Ja«, sagte Annie, obwohl sie davon nicht überzeugt war.
Die alte Straße sah noch fast genauso aus wie zwischen 1962 und 1969, als Banks dort gewohnt hatte - von »Love Me Do« bis Woodstock -, bloß war jetzt alles ein bisschen heruntergekommener, die Mauern, Türen, Schieferdächer. Auf so gut wie jedem Haus, auch auf dem von Banks' Eltern, hatten kleine Satellitenschüsseln den Wald von Fernsehantennen ersetzt. Einleuchtend. Banks konnte sich nicht vorstellen, wie sein Vater ohne Sky Sports leben sollte.
Anfang der sechziger Jahre war die Siedlung noch neu gewesen. Banks' Mutter war damals wie elektrisiert, aus dem winzigen Reihenhaus mit Außentoilette in das neue Haus zu ziehen, das »allen Komfort« hatte, wie man damals sagte. Das Badezimmer, ein abgetrennter Raum anstelle der Zinkwanne, die sie jeden Freitag mit dem Wasserkessel hatten füllen müssen, war für Banks der schönste Komfort. Und dass er ein eigenes Zimmer hatte. Im alten Haus hatte er zusammen mit seinem fünf Jahre
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