Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
»Oder mit dem Gesetz? Mit Gerechtigkeit? Ehrlichkeit?«
»Hohle Phrasen, meine Liebe«, sagte Lancaster, als er mit dem Essen fertig war. »Schöne Worte, zugegeben, aber mehr auch nicht.«
»Warum haben Sie sich damals für die Polizei entschieden? Haben Sie eine Münze geworfen?«
Lancaster lachte. »Eine Münze geworfen. Guter Witz. Muss ich mir merken.« Dann blickte er ernster. »Nein, meine Liebe. Ich bin wahrscheinlich aus denselben Gründen zur Polizei gegangen wie Sie, wie die meisten. Damals wurde noch nicht viel bezahlt, aber es war anständige Arbeit, vielleicht sogar ein bisschen aufregend. Fabian von Scotland Yard und der ganze Kram. Ich wollte kein lahmer Streifengänger sein - sicher, hab ich auch gemacht, haben wir alle, mussten wir ja -, aber ich wusste von Anfang an, dass ich zur Kripo wollte, und das hab ich auch geschafft. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wenn man damals in seiner Stammkneipe an der Theke stand oder am Tisch in der Ecke saß, an dem der eigene Vater sein Leben lang gehockt hatte, und wenn dann einer wie Billy reinkam, von dem man wusste, dass er nicht ganz koscher war, dann war das letzten Endes nur ein Job. Das wusste jeder. Das war nichts Persönliches. Wir kannten uns, respektierten uns und hofften, dass unsere Wege sich nie beruflich kreuzen würden. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass ich damals auf der West-End-Central-Wache war. Das East End war nicht mein Wohnzimmer. Sicher bin ich da aufgewachsen und wohnte da. Uns war allen klar, dass zwischen uns eine Mauer war, die wir besser nicht vor aller Augen einrissen. Deshalb haben wir uns gesittet verhalten: >Hallo, Billy, alles klar? Wie geht's der Familie?< - >Oh, alles in Butter, Bob, kann nicht klagen. Wie läuft's so auf dem Revier?< - >Erstklassig, mein Junge, erstklassig< - >Das hört man gerne, Kumpel.< Und so weiter.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Michelle. Sie nahm ihre Arbeit etwas ernster und wollte nicht tot in einem Lokal der Unterwelt gefunden werden, es sei denn, sie hatte dort einen Spitzel getroffen. Die Grenze zwischen »denen« und »uns« war damals nicht so klar wie heute, das hatte Shaw schon gesagt. Es war eine andere Zeit.
»Ich wollte das nur klarstellen«, sagte Lancaster, »damit Sie nicht glauben, ich wäre bestechlich oder so.«
»Warum sollte ich das glauben?«
Er zwinkerte. »Oh, es gab genug, die bestechlich waren. Die Sitte, obszöne Schriften, Überfallkommando. Na klar. Damals ging das gerade los, '63, '64, '65. Gibt so naive Spinner, die dachten, ein neues Zeitalter der Aufklärung würde anbrechen. Zeitalter des Wassermanns oder wie das hieß. Die bekloppten Hippies und ihr Friede, Freude, Eierkuchen und ihre langen Haare.« Er schnaubte verächtlich. »Wissen Sie, was das in Wirklichkeit war? Der Anfang vom Aufstieg des organisierten Verbrechens in diesem Land. Nein, ich will damit nicht sagen, dass es vorher keine Ganoven gab, aber Mitte der Sechziger, als Reggie und Ronnie auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn waren, hätte das, was ein normaler englischer Durchschnittsbulle über organisiertes Verbrechen wusste, auf eine Briefmarke gepasst. Mein voller Ernst. Einen Dreck wussten wir. Nicht mal >Nipper< Read, der Typ, der die Zwillinge geschnappt hat, wusste mehr. Aus Dänemark, Deutschland, Schweden und Holland kamen damals Wagenladungen voller Pornos. Der Vertrieb musste organisiert werden - Großhandel, Weiterverkauf. Dasselbe mit den Drogen. Damals wurden die Schleusen geöffnet, Mitte der Sechziger. Lizenz zum Gelddrucken. Kann sein, dass die Hippies eine Revolution wollten, Liebe und Frieden, aber Leute wie Reggie und Ronnie haben nur die Gelegenheit gesehen, Kasse zu machen, und letztendlich waren die Hippies doch nur Verbraucher, ein neuer Absatzmarkt. Sex, drugs and rock 'n' roll. Die echten Ganoven haben sich vor Freude die Hände gerieben, als die Blumenkinder kamen. Für die war das wie Weihnachten.«
Alles schön und gut, dachte Michelle. Es war doch schwieriger als erwartet, aus einem Mann wie Lancaster etwas herauszubekommen, auch wenn er nicht ganz dicht zu sein schien. Der Alte bestellte noch ein Bier und lehnte sich zurück. Michelle bat um einen Kaffee. Lancaster nahm eine Pille aus einem kleinen silbernen Döschen und spülte sie mit Bier hinunter.
»Der Blutdruck«, erklärte er. »Na ja, tut mir Leid, meine Liebe«, sagte er, als könne er Gedanken lesen. »Ich übertreib's immer ein bisschen, was? Einer der
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