Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
hinterlassen. Banks tat, wie ihm geheißen, und sagte, er würde es später noch mal versuchen. Dann legte er auf. Anschließend probierte er es auf dem Handy, doch auch dort meldete sich niemand. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Vielleicht würde Roy es später noch mal versuchen, so wie er angekündigt hatte.
Oft saß Banks eine Stunde oder länger auf der Fensterbank seines Schlafzimmers und schaute auf den Friedhof hinunter, besonders in mondhellen Nächten. Er wusste nicht, wonach er Ausschau hielt - vielleicht nach einem Geist -, aber das tiefe Schweigen der Grabsteine und das Rauschen des Windes im hohen Gras schienen ihm eine gewisse Ruhe zu vermitteln. Heute jedoch nicht: kein Mond, kein Wind.
Unten begann das Baby zu weinen, so wie jede Nacht um diese Uhrzeit. Banks schaltete den Fernseher an. Es gab nicht viel Auswahl: Filme, Talkshows oder Nachrichten. Er entschied sich für Der Spion, der aus der Kälte kam. Vor einer halben Stunde hatte der Film begonnen. Das machte nichts; Banks hatte den Film schon so oft gesehen, dass er ihn auswendig kannte. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Er sah Richard Burtons nervösem, intensivem Spiel zu und versuchte, die Handlungsstränge auseinanderzuhalten, merkte aber, dass er in Gedanken immer wieder zu Roys Anruf zurückkehrte, dass er auf das Klingeln des Telefons wartete, es fast erzwingen wollte.
Im Moment konnte er nichts machen, obwohl die Dringlichkeit und Angst in Roys Stimme ihn beunruhigten. Er wollte es am nächsten Morgen erneut probieren, falls Roy heute Abend ausgegangen war. Aber wenn er ihn nicht erreichen könnte, würde er nach London fahren und herausfinden, was zum Teufel da los war.
Warum waren die Leute nur so verdammt rücksichtslos und fanden immer so früh am Samstagmorgen Leichen, fragte sich Detective Inspector Annie Cabbot. Und zwar gerade dann, wenn Banks im Urlaub war und sie Bereitschaft hatte. Nicht nur dass ihr das Wochenende flöten ging - ein Detective Inspector bekam Überstunden nicht bezahlt -, sondern dass die ersten, ausschlaggebenden Stunden einer Ermittlung noch dadurch erschwert wurden, dass fast niemand zu erreichen war. Es war kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Und heute war ein besonders schöner Samstagmorgen; die Büros würden leer sein, alles lief auf Sparflamme. Die Leute packten ihre Kinder und Picknickkörbe ins Auto und fuhren zum nächsten freien Quadratmeter Wiese oder Sandstrand.
Annie parkte hinter einem blauen Peugeot 106 auf einem ruhigen Abschnitt der Landstraße zwischen Eastvale und der A1. Um kurz nach halb acht hatte der wachhabende Sergeant angerufen und sie aus einem unangenehmen Traum geweckt, den sie sofort wieder vergaß. Nach einer schnellen Dusche und einer Tasse löslichem Kaffee war Annie auf dem Weg gewesen.
Der Morgen war neblig und still, in der Luft summten Insekten. Es wäre ein perfekter Tag für ein Picknick am Fluss, mit Libellen und dem Geruch wilden Knoblauchs, vielleicht einer Flasche Chablis, im Wasser gekühlt, dazu der Skizzenblock und ein paar Kohlestifte. Nach einigen Happen Wensleydale-Käse - der mit Cranberries war Annies Lieblingssorte - und ein, zwei Glas Wein wäre es schließlich Zeit für ein Nickerchen am Flussufer, gerne mit angenehmen Träumen. Schluss damit, dachte Annie und ging zu dem Auto hinüber; heute hielt das Leben anderes für sie bereit.
Annie sah, dass der Wagen vorn links so heftig gegen die Trockenmauer gefahren war, dass der Kotflügel eingedrückt und verschrammt und ein Teil der Mauer eingestürzt war. Es gab keine Brems- oder Reifenspuren auf dem trockenen Asphalt.
Um den Peugeot herum wurde bereits gearbeitet. Die Straße war für polizeifremde Fahrzeuge gesperrt, der Bereich um das Auto mit Absperrband versehen. Das würde Probleme geben, sobald die Touristen aus den Löchern krochen, dachte Annie, aber das war nicht zu ändern; die Unversehrtheit des Tatortes musste garantiert sein. Der Polizeifotograf Peter Darby hatte bereits die Leiche und das Fahrzeug abgelichtet und die unmittelbare Umgebung auf Video aufgenommen. Detective Sergeant Jim Hatchley und Detective Constable Winsome Jackman wohnten näher am Tatort und waren bereits da, als Annie eintraf. Hatchley stand am Straßenrand, Winsome saß in der Tür eines zivilen Polizeiwagens.
»Was haben wir da?«, fragte Annie Hatchley, der wie immer aussah, als hätte man ihn durch eine Hecke geschleift. Das kleine Taschentuch, das er auf eine
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