Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
gemeint: Er wohnte zu einem äußerst anständigen Preis in einem ziemlich geräumigen Zwei-Zimmer-Apartment im ersten Stock und hatte einen separaten Eingang. Der Witz an der Sache war, dass es das ehemalige Steadman-Haus war (natürlich längst in Ferienwohnungen umgewandelt) und er Penny Cartwright durch den Steadman-Fall kennengelernt hatte.
Von Banks' Wohnzimmer aus hatte man einen herrlichen Blick über das Tal nach Norden, über das Dorf Helmthorpe in der Mulde, über die saftigen grünen Wiesen, gesprenkelt mit weißen Schafen, und das blasse verdorrte Gras der höheren Weiden. Dahinter sah man den nackten Kalkstein von Crow Scar und das wilde Moor. Banks' Schlafzimmerfenster ging nach Westen auf einen kleinen verlassenen Friedhof der Sandemanen. Er besaß eine winzige Kapelle. Einige Grabsteine waren so alt, dass man die Namen kaum noch entziffern konnte. Sie lehnten an der Mauer.
Irgendwo hatte Banks gelesen, dass die Sekte der Sandemanen im 18. Jahrhundert gegründet worden war, nachdem sie sich von der Presbyterianischen Kirche Schottlands abgespalten hatte. Ihre Mitglieder gingen zur heiligen Kommunion, bekannten sich zu gemeinschaftlichem Grundbesitz, ernährten sich vegetarisch und feierten »Liebesfeste«. Banks fand, die Sandemanen waren so etwas wie die Hippies des 18. Jahrhunderts.
Er war leicht angetrunken. Das merkte er, als er mit dem Schlüssel an der Haustür herumhantierte. Das Dog and Gun war nicht sein erster Anlaufpunkt gewesen. Er hatte im Hare and Hounds gegessen und sich danach ein paar Glas im Bridge genehmigt. Was soll's, dachte er, ich habe noch eine Woche Urlaub und muss nicht mehr fahren. Vielleicht würde er sich noch ein, zwei Glas Wein gönnen. Whisky konnte er immer noch nicht trinken, schon gar keinen Laphroaig. Aus jener Nacht, als sein Leben fast vorbei gewesen war, war allein der charakteristische Geschmack des Whiskys haften geblieben. Nun wurde ihm bereits übel, wenn er ihn nur von weitem roch.
Konnte sich Penny durch seine Fahne abgestoßen gefühlt haben? Hatte er betrunken gewirkt, als er sie zum Essen einlud? Banks bezweifelte es. Er konnte sich noch deutlich artikulieren und schwankte nicht beim Gehen. Nichts an seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass er zu viel intus hatte. Nein, es musste etwas anderes gewesen sein.
Schließlich gelang es ihm, die Tür zu öffnen. Er stieg die Treppe hinauf, schloss die Wohnungstür auf und machte Licht im Flur. Es war heiß und stickig in der Wohnung, er ging ins Wohnzimmer und riss ein Fenster auf. Es half nicht viel. Nachdem er sich ein gutes Glas australischen Shiraz eingeschenkt hatte, ging er zum Telefon. Das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte.
Lediglich eine Nachricht, aber die war eine Überraschung: Sie stammte von seinem Bruder Roy. Banks hatte nicht einmal gewusst, dass Roy seine Telefonnummer besaß. Die Blumen und Genesungswünsche, die ihn im Krankenhaus von Roy erreicht hatten, waren mit Sicherheit von seiner Mutter gewesen.
»Alan ... Scheiße ... jetzt bist du nicht da, und ich hab deine Handynummer nicht. Falls du überhaupt eins besitzt. Du warst ja noch nie ein Technik-Freak. Egal, hör zu, es ist wichtig. Ob du's glaubst oder nicht, du bist so ungefähr der Letzte, der mir jetzt noch helfen kann. Es geht um - ach, das kann ich nicht dem Anrufbeantworter erzählen. Vielleicht geht es um Leben und Tod.« Ein schroffes Lachen. »Vielleicht sogar um meinen. Egal, ich versuch's später noch mal, aber könntest du dich so schnell wie möglich bei mir melden? Ich muss dringend mit dir reden. Wirklich! Bitte!« Banks hörte ein Summen im Hintergrund. »Es hat geklingelt. Ich muss auflegen. Ruf mich bitte an! Auch auf meinem Handy.« Roy nannte seine Nummer, das war's.
Verblüfft hörte sich Banks die Nachricht noch einmal an. Er wollte sie ein drittes Mal abspielen, dann erschien es ihm überflüssig. Er fand es schrecklich, wenn im Film immer wieder dieselbe Mitteilung lief und die Leute das Band jedes Mal genau an der richtigen Stelle anhielten. Banks legte den Hörer auf und trank einen Schluck Wein. Er hatte alles Wichtige gehört. Roy klang besorgt und merklich verängstigt. Der Anruf war um 21:29 Uhr von seinem AB registriert worden, vor knapp anderthalb Stunden also. Da war Banks im Bridge gewesen.
Roys Telefon klingelte mehrmals, dann sprang der Anrufbeantworter an: Kühl und sachlich forderte Roys Stimme den Anrufer auf, eine Nachricht zu
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