Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
daran denken, ermahnte er sich selbst.
Er schenkte sich etwas aus der letzten Flasche Amarone ein. Seine Eltern hatten auch Roys Weinvorrat geerbt und an ihn weitergegeben. Sein Vater war der Ansicht, Weißwein sei für Weicheier und Rotwein schmecke wie Essig. Banks' Mutter bevorzugte süßen Sherry. Ihr Verlust war Banks' Gewinn, und so lernte er den kostspieligen Genuss von Premier-Cru-Weinen - Bordeaux und Sauternes -, von weißem und rotem Burgunder bester Lagen, von Chianti Classico, Barolo und Amarone kennen und schätzen. Wenn alles ausgetrunken wäre, würde Banks selbstverständlich zu den Tetrapacks mit chilenischem oder australischem Roten zurückkehren, aber im Moment genoss er den Luxus.
Dennoch vermisste er Roy jedes Mal, wenn er eine Flasche öffnete. Das war merkwürdig, denn sein Bruder hatte ihm nie besonders nahgestanden, und Banks hatte das Gefühl, Roy erst nach dessen Tod richtig kennengelernt zu haben. Damit würde er sich wohl abfinden müssen. Genauso war es mit den anderen Dingen - dem Fernseher, der Anlage, dem Auto, der Musik: All das erinnerte ihn an den Bruder, den er niemals richtig gekannt hatte.
In der Mitte von »Ums and Them« klingelte es. Es war Annie, Punkt halb acht, wie verabredet. Banks ging zur Haustür und öffnete, und sofort schob ihn ein Windstoß zurück ins Haus und drückte ihm Annie fast in die Arme. Kichernd wich sie zurück und versuchte, ihr Haar festzuhalten, während Banks die Tür schloss, doch schon auf dem kurzen Weg vom Auto zur Haustür war es völlig durcheinandergeraten.
»Was für ein Wetter!«, sagte Banks. »Ich hoffe, du hattest keine Schwierigkeiten auf dem Weg.«
Annie lächelte. »Nichts, womit ich nicht fertig geworden wäre.« Sie reichte Banks eine Flasche Wein - chilenischer Merlot von Tesco - und holte eine Bürste hervor. Während sie sich an ihrem Haar zu schaffen machte, ging sie im Wohnzimmer umher. »Das sieht ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt habe«, sagte sie. »Richtig gemütlich. Aha, du hast dich also doch für das dunkle Holz entschieden.«
Das Holz des Tisches war eines der Themen gewesen, über die sie gesprochen hatten. Annie hatte zu der dunkleren Farbe geraten, nicht zum hellen Kiefernholz. Wo vorher Banks' Wohnzimmer gewesen war, befand sich nun ein kleiner Arbeitsraum mit Bücherregalen und zwei bequemen braunen Ledersesseln vor dem Kamin, die zum Lesen einluden. Unter dem Fenster stand ein Schreibtisch im georgianischen Stil für den Laptop. Eine Tür neben dem Kamin führte in den neuen Medienraum, der eine ganze Seite des Hauses einnahm. Annie sah sich bewundernd darin um, auch wenn sie sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass der Raum der reinste Männertraum sei.
Der Fernsehbildschirm hing an der vorderen Wand, die Lautsprecher waren strategisch um das pflaumenblaue Sofa und die Sessel herum platziert. In den Regalen an den Seiten standen CDs und DVDs, die meisten von Roy, abgesehen von einigen wenigen, die Banks in den letzten Monaten gekauft hatte. An der Rückwand führte eine Glastür in den neuen Wintergarten.
Sie gingen in die Küche, die vollständig neu eingerichtet war.
Banks hatte versucht, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen - Kiefernholzschränke, Töpfe mit Kupferböden, die an Haken an der Wand hingen, und eine Frühstücksecke, deren Bank und Tisch zu den Schränken passten -, doch der Raum schien seine wundersam wohltuende Wirkung für immer verloren zu haben. Jetzt war es eine hübsche Küche, aber mehr auch nicht. Die Bauarbeiter hatten den Wintergarten an der gesamten Rückseite des Hauses entlanggezogen, und auch von der Küche führte eine Tür hinein.
»Macht was her«, sagte Annie. »Dazu der Porsche vor der Tür ... Jetzt werden dir die Mädels die Bude einrennen.«
»Schön wär's«, sagte Banks. »Vielleicht verkaufe ich den Porsche.«
»Warum?«
»Es ist ein komisches Gefühl, die ganzen Sachen von Roy zu haben. Der Fernseher, die Filme und CDs, das ist wohl okay, ist nicht allzu persönlich, aber das Auto ... Ich weiß nicht. Roy hat dieses Auto geliebt.«
»Versuch's doch erst mal. Vielleicht liebst du es auch irgendwann.«
»Ich mag es jetzt schon ganz gerne. Es ist bloß ... ach, egal.«
»Hm, hier riecht' s gut. Was gibt' s denn?«
»Rinderbraten mit Yorkshire-Pudding.«
Annie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
»Vegetarische Lasagne«, sagte er. »Spezialität
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