Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
steckte sich die Ohrringe wieder an.
Als sie die Tür öffnete, bewegte sich der Typ im Bett, zog aber nur die Decke hoch, schlang sie um sich und rollte sich zusammen wie ein Kind. Annie schloss die Tür hinter sich und ging die Treppe hinunter in den seltsamen neuen Tag an einem seltsamen Ort. Sie roch die frische Seeluft, kaum dass sie draußen stand, spürte den kühlen Wind und hörte die Möwen krächzen. Wenigstens hatte sie eine warme Jacke dabei.
Während sie den Hügel hinunter zu dem Club ging, vor dem ihr Wagen geparkt war, holte sie ihr Handy hervor und hörte ihre Mailbox ab. Sie vernahm die strenge Stimme von Detective Superintendent Brough vom Polizeipräsidium der Eastern Area, der ihr befahl, auf der Stelle nach Larborough Head zu kommen. Es habe einen Mord gegeben, die Kollegen vor Ort bräuchten ihre Hilfe. Abgeordnet zu sein, dachte Annie beim Auflegen, kam ihr manchmal wie der Dienst einer Hure vor. Dann fiel ihr auf, dass sie nun zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde an Huren und Schlampen gedacht hatte, und fand, es sei an der Zeit, neue Metaphern zu finden. Nein, sie war keine Hure, sondern ein Engel der Barmherzigkeit. Genau das war sie: Annie Cabbot, Engel der Barmherzigkeit, immer zu Ihren Diensten.
Sie entdeckte ihren violetten Astra auf dem öffentlichen Parkplatz neben dem Club, dachte zum hundertsten Mal, dass sie sich langsam ein neues Auto zulegen müsse, schaute auf die Straßenkarte, legte knirschend den Gang ein und machte sich auf nach Larborough Head am nördlichen Rand des Gebiets, für das die Eastern Area zuständig war.
Immerhin hatten die Cafés am Marktplatz geöffnet. Banks entschied sich für eines, das nur drei Häuser von Taylor's Yard entfernt über dem Geschäft der Wohltätigkeitsorganisation Age Concern lag. Er wusste, dass der Kaffee dort gut und stark war. Banks nahm neben Superintendent Gervaise Platz. Sie war ganz attraktiv, fand er, mit ihrer kecken Nase, den blauen Augen, den hübsch geschwungenen Lippen und der leichten Röte, die der morgendliche Sport auf ihre blassen Wangen gezaubert hatte. Die schwache Narbe neben ihrem linken Auge war fast an der gleichen Stelle wie die von Banks. Gervaise mochte etwa gut zehn Jahre jünger sein als er, also Anfang vierzig. Nachdem sie bestellt hatten, er Kaffee, sie ein Kännchen Earl Grey und für beide geröstete Teekuchen, kamen sie zum Geschäftlichen.
»Sieht aus, als hätten wir es mit einem besonders bösartigen Mord zu tun«, sagte Banks.
»Dabei war es in letzter Zeit so ruhig«, bemerkte Gervaise. Sie legte ihre Reitgerte auf den Tisch, nahm den Helm ab, schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das kurze helle Haar, das flachgedrückt war. »Seit dieser Geschichte mit der Rockband.« Sie warf Banks einen vielsagenden Blick zu.
Banks wusste, dass sie mit der Auflösung des letzten Mordfalls unzufrieden gewesen war, obwohl sie ihm freie Hand gegeben hatte, ihn auf seine Weise zu klären. Auch Banks hatte das Ende nicht gefallen. Aber es war nicht mehr zu ändern. Manchmal lief es einfach nicht so, wie man es gern hätte. Banks informierte Gervaise, berichtete, was er von DS Templeton und Dr. Burns erfahren hatte. »Die Leiche wurde heute Morgen um Viertel nach acht von einem Mr Joseph Randall gefunden, fünfundfünfzig Jahre, wohnhaft in Hyacinth Walk.«
»Und was hatte der zu dieser Zeit am Sonntagmorgen im Labyrinth zu suchen?«
»Ihm gehört das Lederwarengeschäft an der Ecke«, erklärte Banks. »Im Labyrinth hat er sein Lager. Er sagt, er hätte nach Stoffmustern suchen wollen, hätte gemerkt, dass das Schloss aufgebrochen war, und das Mädchen da liegen sehen. Er schwört, er hätte nichts angefasst. Wäre rückwärts wieder herausgegangen und quer über den Platz zum Revier gelaufen.«
»Glauben wir ihm?«
»Er sagt, er hätte die Tür zum Lagerraum um Viertel nach acht geöffnet, aber eine Zeugin vom Marktplatz gab bei DS Templeton an, sie hätte auf der Kirchenuhr gesehen, dass Randall um zehn nach acht ins Labyrinth gegangen wäre. Die Kirchturmuhr geht ziemlich genau. Die Frau konnte sich erinnern, weil sie zu spät zur Kirche kam und deshalb auf die Uhr schaute. Der diensthabende Sergeant hat die Meldung von Randall um acht Uhr einundzwanzig eingetragen.«
»Das sind elf Minuten.« Gervaise schürzte die Lippen. »Nicht gerade viel«, sagte sie. »Wo ist er jetzt?«
»DS Templeton hat ihn mit einem Constable nach
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