Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
heutzutage alles durchgekaut hatten, war nichts mehr übrig, worüber man singen konnte.
Das Geräusch von Winsomes zuschlagender Wagentür durchdrang die Stille und ließ drei dicke Krähen von einem knorrigen Baum aufsteigen. Sie kreisten vor den grauen Wolken wie schwarze Regenschirme.
Winsome schaute noch einmal nach der Adresse, während sie an einem Pub und mehreren Häusern mit im Winde schwingenden »Bed & Breakfast«-Schildern vorbeiging. In den Erkerfenstern hingen Pappen mit der Aufschrift »Zimmer frei«. Trotz des schlechten Wetters standen drei grauhaarige alte Männer auf ihre Stöcke gestützt auf der alten Steinbrücke und unterhielten sich. Als sie Winsome erblickten, verstummten sie und sahen ihr nach. Winsome nahm an, dass sie in Swainshead nicht oft eine ein Meter achtzig große Schwarze zu Gesicht bekamen.
Der Wind schien aus allen Richtungen zu kommen, er trug den Nieselregen heran, als sei er ein Teil von ihm, und sickerte durch Winsomes enge schwarze Jeans auf die Oberschenkel unterhalb der Jacke. Das würde dem Wildleder nicht guttun, dachte sie. Sie hätte etwas Praktischeres anziehen sollen. Aber sie hatte es eilig gehabt, die Lederjacke war das Erste, was ihr im Dielenschrank in die Finger gekommen war. Woher hätte sie wissen sollen, wie das Wetter hier sein würde?
Winsome fand das Haus und klingelte. Ein mürrischer Constable öffnete und versuchte erfolglos, seine Überraschung beim Anblick einer schwarzen Frau zu verbergen. Er führte Winsome ins Vorderzimmer. Dort saß eine Frau, die viel zu jung war, um eine Tochter im Alter des Opfers zu haben, und starrte ins Leere.
»Mrs Daniels?«, fragte Winsome.
»McCarthy«, korrigierte die Frau und sah auf. »Donna McCarthy. Aber Geoff Daniels ist mein Mann. Ich habe meinen Mädchennamen aus beruflichen Gründen behalten. Ich habe dem Constable gerade erklärt, dass Geoff geschäftlich unterwegs ist.«
Winsome stellte sich vor. Beifällig registrierte sie, dass Donna McCarthy über ihr Aussehen weder überrascht noch belustigt zu sein schien.
Mrs McCarthys Augen füllten sich mit Tränen. »Stimmt es also, was er mir gesagt hat? Das mit Hayley?«
»Wir denken, ja«, sagte Winsome und griff nach der Plastiktüte mit dem Adressbuch, die Banks ihr gegeben hatte. »Können Sie mir sagen, ob das Ihrer Tochter gehört?«
Donna McCarthy prüfte den Einband mit dem William-Morris-Muster, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Sie ist nicht meine Tochter, wissen Sie«, sagte sie mit gedämpfter Stimme durch ein Taschentuch. »Ich bin Geoffs zweite Frau. Hayleys Mutter ist vor zwölf Jahren gegangen. Wir sind seit acht Jahren verheiratet.«
»Verstehe«, sagte Winsome und notierte es sich. »Aber Sie können dieses Adressbuch definitiv als das von Hayley Daniels identifizieren?«
Donna nickte. »Darf ich mal reinschauen?«
»Tut mir leid, aber Sie dürfen es nicht anfassen«, sagte Winsome. »Warten Sie, ich mache das für Sie.« Sie holte die Latexhandschuhe hervor, die sie für so einen Fall immer bei sich trug, schob das Adressbuch aus der Hülle und schlug das Deckblatt auf. »Ist das Hayleys Handschrift?«
Donna McCarthy presste das Taschentuch wieder ans Gesicht und nickte. Winsome blätterte ein paar Seiten um, und Donna nickte erneut. Schließlich verstaute Winsome das Buch, zog die Handschuhe aus und schlug die durchnässten Hosenbeine übereinander. »Könnten wir vielleicht einen Tee auftreiben?«, fragte sie den Constable. Er warf ihr einen Blick zu, der Bände sprach. Ein Mann wie er wurde von einer schwarzen Frau gleichen Ranges gebeten, einen derart niederen Dienst zu verrichten! Er schlurfte davon, offenbar in Richtung Küche. Erbärmlicher Mistkerl. Winsome berührte sanft die Hand der Frau. »Es tut mir so leid«, sagte sie. »Aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Donna McCarthy putzte sich die Nase. »Natürlich«, sagte sie. »Ich verstehe schon.« Auf der Couch wirkte die Frau schmächtig und allein, aber Winsome sah, dass sie sehr muskulös war und kräftige Schultern und Arme hatte. Donna McCarthy hatte blassgrüne Augen und kurzes hellbraunes Haar. Ihre Kleidung war lässig, Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt, unter dem man den Umriss ihres BHs über festen kleinen Brüsten erahnte. Das Oberteil war so kurz, dass man ein, zwei Zentimeter flachen Bauchs erkennen konnte.
»Haben Sie ein aktuelles Foto von Hayley?«, fragte
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