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Inspector Banks kehrt heim

Titel: Inspector Banks kehrt heim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Arbeiterklasse. Das empfand ich als meine Pflicht, meine gottgegebene Pflicht. Wenn der Herr es so gut mit mir meint, dann verstehe ich es als Verpflichtung, es ebenfalls gut mit meinen Arbeitern zu meinen. Können Sie mir folgen?«
      »Ja, Sir.«
      »Und jetzt das hier: Mord, Totschlag - wie auch immer man es nennen will. Das Experiment wird einer Zerreißprobe ausgesetzt. Dieser Vorfall könnte jedes Vertrauen zerstören, das sich inzwischen in der Gemeinschaft entwickelt hat. Sie erinnern sich doch bestimmt noch an den Ärger, den wir vor einigen Jahren wegen Milzbrands hatten?«
      »Aber sicher, Sir.« 1868 hatte ein gewisser Sutcliffe Rhodes auf seinem Feldzug gegen Milzbrand viel Unterstützung im Dorf gewonnen; die ganze Angelegenheit hatte Sir Titus ernsthaft in Verlegenheit gebracht. »Aber Sie können doch kaum erwarten, dass ich vergesse, was ich weiß«, sagte ich, »dass ich lüge.«
      Sir Titus lächelte grimmig. »Ich würde niemals jemanden bitten, gegen seine Überzeugungen zu handeln, Herr Doktor. Ich bitte Sie nur, der Stimme Ihres Gewissens zu folgen, dabei aber bitte die Folgen zu bedenken. Wenn dieses Thema noch einmal aufkommt, besonders auf diese Weise, dann sind wir erledigt. Dann wird niemand mehr an Saltaire glauben, und ich wollte immer, dass es ein guter Ort ist, ein Ort, in dem es niemals einen Grund zum Töten geben würde.«
      Traurig schüttelte er den Kopf und ließ die Stille wirken. Plötzlich hörte ich Rufe, die Fabrikgeräusche übertönend. Es klopfte an der Tür, dann kam jemand ins Büro gestürmt, ohne Zeit auf Höflichkeiten zu verschwenden. Ich war mir nicht sicher, doch mein erster Eindruck war, es sei die schattenhafte Gestalt aus dem »Spion-Turm«.
      »Sir Titus«, sagte der Eindringling nach einer kurzen Verbeugung, »entschuldigen Sie, dass ich so hereinplatze, aber Sie müssen kommen. Auf dem Fabrikdach steht ein Mann.«
      Mit gerunzelter Stirn sahen Sir Titus und ich uns an, dann folgten wir dem Mann nach draußen. Mit Rücksicht auf Sir Titus' Alter ging ich langsam; wir brauchten einige Minuten, um zu den Schrebergärten zu gelangen, von wo aus man einen guten Blick auf die Fabrik hatte.
      Der Mann stand oben auf dem Dach der Weberei, sechs Stockwerke hoch, zwischen den beiden Zierlaternen. Ich konnte eine zweite Gestalt an einer der Laternen ausmachen, vielleicht sprach sie mit ihm. Doch der Mann auf dem Dach schien nicht zuzuhören. Er stand am Rand, und noch während wir hinsahen, breitete er die Arme aus, als wolle er fliegen, und sprang hinunter. Kurz schien er in der Luft zu schweben, dann schlug er mit einem dumpfen Geräusch im Vorhof auf.
      Es war ein sonderbares Gefühl. Obwohl ich vom Verstand und vom Herzen her wusste, dass ich den Tod eines Mitmenschen erlebt hatte, hatte das Geschehen etwas Distanziertes. Zum einen war die Gestalt im Vergleich zur Weberei winzig klein, zum anderen wühlte direkt vor uns ein Hund im Dreck, als grabe er nach einem Knochen. Während der Mann herunterfiel, hörte der Hund nicht mit dem Scharren auf.
      Ein Webereiarbeiter kam auf uns zugelaufen und meldete, der Tote sei Jack Liversedge. Wieder hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, aber ich glaube, dass ich es irgendwie längst gewusst hatte.
      »Ein Unfall und ein Selbstmord«, murmelte Sir Titus und sah mich mit seinen tiefliegenden Augen an. »Das ist schlimm, aber wir können es überwinden, nicht wahr, Herr Doktor?« In seiner Stimme lag Hoffnung.
      Meine Kieferknochen arbeiteten. Ich war versucht, ihm zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren; seine Vision, sein Experiment, sei das Lügen nicht wert. Doch vor mir sah ich einen kranken alten Mann, der immerhin versucht hatte, etwas für die Menschen zu tun, die ihn reich gemacht hatten. Ob das genug war, hatte nicht ich zu beurteilen. Saltaire war nicht perfekt - diesen Zustand werden wir auf dieser Erde niemals erreichen -, aber es war besser als die meisten Weberstädte.
      Ich schluckte meinen Zorn hinunter, nickte Sir Titus knapp zu und machte mich auf den Weg die Victoria Road hinauf zum Krankenhaus.
      In den folgenden Tagen und Wochen versuchte ich, meine Arbeit weiterzuführen - schließlich brauchten die Einwohner von Saltaire einen Arzt und ein Krankenhaus -, aber nach Jack Liversedges sinnlosem Tod war ich nicht mehr so recht mit dem Herzen bei der Sache. Der dramatische Selbstmord drückte eine Weile auf die Stimmung in der Stadt, überall sah man lange Gesichter,

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