Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
so daß keiner von ihnen sonderlich überrascht gewesen wäre, wenn er den ganzen Gewinn aus seinem Geschäft in das Theaterprojekt investiert hätte.
»Ich beneide Sarah nicht um das schwere Kleid«, meinte Rosa mit ihrer heiseren Stimme zu Joyce. »Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Ranjewskaja...«
»Ist meine Polsterung bald fertig, Joyce?« unterbrach sie die zweite Frau Carmichael und erhielt viele dankbare Blicke für diesen Einwurf. Jedesmal, wenn Rosa mit Ranjewskaja anfing, hätten sich alle am liebsten versteckt. Oder mit ihrer Frau Alving. Oder, wenn gar nichts mehr half, mit ihrer Fee Carabosse.
»Und die Musik«, fragte Nicholas. »Wann bekommen wir eigentlich die Musik?«
»Sobald ich einen Achtundvierzigstundentag habe«, kam es schneller als ein Peitschenschlag von Harold zurück. »Es sei denn«, fuhr er fort und zwinkerte bei der Absurdität dieses Gedankens mit den Augen, »du willst sie selbst komponieren.«
»In Ordnung.«
»Was?«
»Ich könnte das übernehmen, ich kenne alle seine Stücke. Es ist doch nur eine Frage von...«
»Es ist nicht nur eine Frage von irgend etwas, Nicholas. Der künstlerische Wert eines Regisseurs muß in jedem kleinen Detail seiner Produktion atmen. Wenn du erst einmal damit anfängst, dieses und jenes irgendeinem Tom, Dick oder Harry zu überlassen, die es dann so machen, wie sie es haben wollen, kannst du bald abdanken.« Es war Harolds Bemühen um Ansehen innerhalb der Truppe zu verdanken, daß dieses Verb niemandem in der Truppe unangemessen erschien. »Und dann mache ich mir auch mehr Sorgen um deinen Text als um deine Polsterung, Kitty. Ich möchte, daß du ihn am Dienstag auswendig kannst. Frei und ohne zu stocken. Hast du kapiert?«
»Ich werde es versuchen, Harold.« Kittys Stimme zeichnete sich durch ein leichtes Lispeln aus. Und ihre Ds waren beinahe Ts. Diese niedliche Färbung sowie die zerzausten blonden Locken, die zarte Pfirsichhaut und der übertriebene Schwung ihrer Oberlippe schufen eine Art kindlichen Charme, der so anziehend wirkte, daß die Leute kaum bemerkten, in welchem Gegensatz all das zu dem harten Glanz in ihren azurblauen Augen stand. Wenn sie sprach, hob und senkte sich ihr köstlicher Busen eine Spur schneller, ganz so, als signalisierte sie damit, daß sie mehr denn je gefallen wolle.
Harold sah sie streng an. Es war ihm schon immer ein komplettes Rätsel gewesen, wie jemand, der zur CADS gehörte, sich nicht in jedem wachen Moment seines Lebens um das kümmerte, was in der laufenden Produktion vor sich ging. Indem man rund um die Uhr im Theater anwesend war und auch während der Zeiten seiner Abwesenheit an nichts anderes als an das Stück dachte. Avery hatte einmal völlig zutreffend festgestellt, daß ihnen Harold, wenn es in seiner Macht stünde, sogar befehlen würde, vom Latimer zu träumen. Und ausgerechnet Kitty, sagte sich Harold jetzt, hatte die meiste Zeit von allen. Er fragte sich, womit sie sich wohl den ganzen Tag lang beschäftigte, und bemerkte dann, daß er sich diese Frage wohl laut gestellt hatte. Kitty senkte jedenfalls beschämt die Augen, so als enthielte die Bemerkung etwas Anzügliches.
Dierdre begann, die Becher einzusammeln. In einigen befand sich zwar noch etwas Kaffee, aber niemand bestand hier auf eine volle Ration. Als sie Kittys Becher an sich nahm, sah sie woandershin, denn Esslyn hatte inzwischen aufgehört, den Hals seiner Frau zu liebkosen, statt dessen seine Finger in den Ausschnitt ihrer Bluse geschoben und fummelte beinahe geistesabwesend an ihr herum. Rosa Crawley entging diese gefühllose Geste ihres Ex-Ehemannes nicht, und sie wurde rot, ein häßliches Puterrot. Harold, der wie immer die Dramen, die sich hinter der Bühne abspielten, nicht wahrnahm, rief seinem Lichttechniker zu: »Wo zum Teufel ist Tim?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das solltest du aber wissen. Du lebst schließlich mit ihm zusammen.«
»Das Zusammenleben mit jemandem«, entgegnete Avery, »verleiht einem keine parapsychischen Kräfte. Als ich weggegangen bin, hat er sich gerade um die Bestellung von Faber gekümmert und gesagt, er bräuchte bloß noch eine halbe Stunde. Daher bin ich genauso schlau wie du.« Obwohl Averys Stimme fest klang, nagten panische Ängste an ihm. Es war ihm eine schier unerträgliche Vorstellung, nicht zu wissen, wo Tim war, was er tat und mit wem er es tat. Jede Sekunde, die er mit einem Mangel an diesen lebensnotwendigen
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