Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
»Entschuldige, Esslyn, das sollte bloß ein Witz sein.«
»Totgeboren, Nico«, entgegnete Esslyn hochmütig. »Wie alle deine Witze. Um gar nicht erst davon zu reden...« Er vergrub seine Lippen in den goldenen Locken, die sich sanft um Kittys Hals rankten, und der Rest des Satzes ging verloren. Trotzdem ahnte jeder, was er vielleicht gesagt haben könnte...
Nicholas wurde weiß. Einige Momente lang erwiderte er nichts, doch dann begann er, wobei er mit einer übertrieben ruhigen Stimme sprach und dabei jedes seiner Worte mit Sorgfalt wählte: »Es sieht vielleicht nicht ganz so aus, aber auch mir bereitet dieses Problem Sorgen. Denn schließlich kann es gut sein, daß die ganze Geschichte am Ende unheimlich stümperhaft wirkt, wenn Esslyn nicht genug Zeit hat, um zu lernen, wie er mit der entscheidenden Requisite umzugehen hat.« Darauf folgte ein Crescendo von beifälligem Murmeln und angehaltenem Atem. Harold stand auf und fixierte seinen Mozart mit Kaninchenaugen.
»Dieses Wort wirst du nie wieder in meiner Gegenwart benutzen, Nicholas... ist das klar? In meinen Produktionen wird es niemals etwas Stümperhaftes geben.«
In dieser kühnen Zurückweisung des Adjektivs sprang Harold ein wenig gar zu ökonomisch mit der Wahrheit um. Die gesamte Truppe war stolz auf das, was als ihr professioneller Standard angesehen wurde, aber sowie auch nur ein Hauch ablehnender Kritik zu hören war, waren sie nur noch Amateure, von denen die meisten Vollzeitarbeitsplätze hatten, weshalb es wirklich ein Wunder war, daß jeder noch die Zeit fand, überhaupt seinen Text zu lernen, bloß um ein Stück auf die Beine zu stellen. Wieder war aus Nicholas’ Gesicht alle Farbe gewichen, und er schien sich seiner Grobheit zu schämen. Aber ehe er auch nur den Mund öffnen konnte, um den Fauxpas bei seinem Publikum wiedergutzumachen, ging die Tür auf, und Tim Young erschien. Er kam in einem dunklen Crombie-Überzieher und einem Borsalino rasch auf sie zu, ein großer Mann, der ein kleines Päckchen in der Hand trug.
»Entschuldigung, ich bin spät dran.«
»Wo bist du denn gewesen?«
»Der Papierkram schien ewig zu dauern... und dann hat auch noch das Telefon geklingelt. Du weißt ja, wie das ist.«
Tim verteilte seine Antwort mehr über die ganze Gruppe, als daß er sie direkt an Avery gerichtet hätte, der daraufhin fragte: »Wer hat angerufen?«
Tim schlüpfte aus seinem Überzieher und begann, das Päckchen zu öffnen. Jeder sah zu. Es war sehr sorgfältig verpackt. Zwei Lagen dünnes braunes Papier, dann zwei aus weichem Tuch. Schließlich wurde das Rasiermesser sichtbar. Tim klappte die Klinge auf und legte das Messer quer über seine Handfläche.
Es war ein wunderschönes Messer. Der Griff war ein eleganter Bogen aus Elfenbein, in den mit goldenen Lettern eingraviert war: E.V. Bayars, Master Cutler. (C.A.P.S.) Um diese Inschrift herum wand sich ein Kranz aus Akanthusblättern mit winzigen Blüten, die in Perlmutt eingelegt waren. Die andere Seite war bis auf drei kleine Nieten glatt. Die Klinge, deren Schneide tödlich scharf gewetzt war, blinkte und glänzte.
Esslyn, dem jetzt aufging, warum Tim das Messer mitgebracht hatte, sagte: »Sieht aber ganz schön scharf aus.«
»Das muß es auch«, rief Harold. »Die dramaturgische Wahrhaftigkeit ist von allergrößter Bedeutung.«
»Absolut«, sekundierte Rosa, etwas gar zu schnell, wie einige dachten.
»Ich gebe einen Koboldfurz auf eure dramaturgische Wahrhaftigkeit«, entfuhr es Esslyn, dann streckte er die Hand aus und nahm die Klinge mit spitzen Fingern. »Wenn ihr glaubt, ich lasse diese Klinge näher als zehn Zentimeter an meinen Hals heran, dann liegt ihr aber falsch.«
»Hast du eigentlich jemals etwas vom Herz eines Mimen gehört?« fragte Harold.
»Ja, ich habe vom Herz eines Mimen gehört«, antwortete Esslyn, »aber auch von Herzen der Marke Jack the Ripper, von Sweeney Todd und vom Tod durch einen schrecklichen Unfall.«
»Ich werde mir bis zur nächsten Probe etwas einfallen lassen«, kündigte Harold zuversichtlich an. »Hab keine Angst. Pack es jetzt erst mal wieder ein, Tim. Ich möchte gern mit Akt zwei weitermachen. Dierdre?« Pause. »Wo steckt die denn nun schon wieder?«
»Ich glaube, sie spült«, sagte Rosa.
»Himmelherrgott noch mal. Ich könnte den Abwasch eines Viergängemenüs in einem Zwanzigstel der Zeit erledigen, die sie für ein halbes Dutzend Tassen braucht.
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