Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
Harold glaubte, wenn man sein Glück gemacht hatte, wäre Talent kein Problem mehr. Er hatte es, Gott weiß, es quoll ja aus jeder seiner Poren. Aber die richtige Frau... ah, da lag der Hund begraben. Doris war bürgerlich und ein schlichtes Gemüt. Eine Philisterin. Als sie gerade erst frisch verheiratet waren (sie war damals ein dünnes, scheues, hübsches Mädchen), hatten die Kinder sie vollauf beansprucht, und sie hatte keine Zeit gehabt, sich für das Latimer zu interessieren. Später, als die Kinder größer wurden und ihre eigenen Wege gingen, waren ihre Bemerkungen zu den Produktionen derart unangebracht, daß Harold ihr kurzweg verbot, sich, außer zu den Premieren, überhaupt noch im Theater blicken zu lassen.
Er hatte erst kürzlich, als Rosa wieder zu haben war, daran gedacht, sich von ihr scheiden zu lassen, weil er Rosa für eine wesentlich angemessenere Regisseursgattin hielt. (Manchmal fragte er sich, ob Doris überhaupt dankbar dafür oder sich des Status’ bewußt war, den ihm seine Position als einziger Theaterimpresario der Stadt verlieh.) Wie auch immer, nachdem er seine flüchtige Schwäche für Rosa im kalten Licht der Vernunft analysiert hatte, mußte Harold zugeben, daß sie nicht ernstlich standhalten konnte. Rosa war nicht nur an die Rolle als Hauptdarstellerin gewöhnt, nein, sie genoß sie, und er konnte kein Anzeichen dafür erkennen, daß sie zu seinen Gunsten freiwillig ihre Ambitionen zurückstecken würde. Doris dagegen hatte - neben ihren besonderen Aufgaben -, Eier einzulegen, Blumen zu trocknen und unschuldig gestrickte Kreaturen mit mehrfarbigen Schaumteilen auszustopfen - die hohe Gabe, sich unsichtbar zu machen. Tatsächlich war sich Harold mit einigem Vergnügen darüber bewußt, daß sie, immer wenn er einen Raum betrat, wie die Melanchra persicaria, förmlich in ihren Holzarbeiten verschwand. Und was am wichtigsten schien, sie war nicht geldgierig. Er hatte seiner Frau und den Kindern Bescheidenheit auferlegt, und zwar in einem viel höheren Maße, als das eigentlich notwendig gewesen wäre. Über die Hälfte seines Gewinns aus der Firma (da hatte Joyce ganz recht) verschwand in seinen Inszenierungen, so daß jeder Schwätzer, der meinte, diese in irgendeiner Weise kritisieren zu müssen, wenigstens nie behaupten konnte, die Stücke wären nicht gut ausgestattet.
Ein bernsteinfarbenes Rechteck aus Licht fiel durch die Windschutzscheibe.
»Harold?«
Harold seufzte, polierte kurz den Kilometerzähler mit seinem Taschentuch und rief: »Einen Moment noch!«
Er kletterte aus dem Cockpit. Das war der Wendepunkt für ihn. Der Moment, in dem er sich aus dem heißblütigen, wilden, turbulenten Rund seiner Arena in die schattige, graue, halbverschwommene und immer noch unreale Welt des Ernährens begab.
»Dein Abendessen wird kalt.«
»Dinner, Doris.« Die Gereiztheit hatte ihn schon wieder voll in den Klauen, als er sie in die Küche schob. »Wie oft soll ich dir das denn noch sagen?«
»Wie geht es ihm, Mrs. Higgins?« Dierdre betrat die Küche leise durch die Hintertür, und die ältere Frau, die am Herd saß, zuckte zusammen. »Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Er war ja so brav«, antwortete Mrs. Higgins. »Wenn man’s bedenkt.«
Dierdre fand, das »Wenn man’s bedenkt« sei völlig unangebracht. Sie beide wußten schließlich, daß es Mr. Tibbs nicht immer so gut ging, und ihnen war auch bekannt, weshalb. Dierdre blickte zum Kaminsims. Mrs. Higgins’ Umschlag war fort, und als die Frau sich auf die Füße hievte, bemerkte Dierdre, daß er aus der Tasche ihrer schmuddeligen Schürze hervorlugte.
»Hoppla.«
»Schläft er noch?«
»Nein. Er spricht mit sich selbst. Ich habe ihm einen schönen Teller Suppe gemacht.«
Dierdre blickte in den Topf im Spülbecken und bedankte sich: »Sie sind so nett.« Dann half sie Mrs. Higgins in den Mantel. Die Dankbarkeit und Anerkennung in ihrer Stimme waren nicht gespielt. Wenn Mrs. Higgins nicht gewesen wäre, hätte Dierdre gar kein Leben gehabt. Kein Leben außerhalb ihres Zuhauses und der Gasversorgungsgesellschaft, denn sie hätte sonst wohl kaum jemanden gefunden, der sich für ein paar Pfund mit einem verwirrten alten Mann beschäftigen würde. Nicht, daß sie die Sache mit dem Geld völlig unter den Teppich kehrte. In der Anfangszeit hatte Dierdre es Mrs. Higgins ein paarmal angeboten, aber eigentlich nur, um zu hören: »Machen Sie sich
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