Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
Dierdres gesenkten Kopf und ihre ausgeblichenen Jeans. Im Gegensatz zum Rest des Ensembles hatte er ihr Können nicht unterschätzt. Dennoch hatte er nie mit ihr über das Stück gesprochen und, obwohl er von ihren Ambitionen in dieser Hinsicht wußte, hatte er (genauso wie alle anderen) nie daran gedacht, daß sie vielleicht sogar besser Bescheid wußte als Harold. Nun blickte er sie an, wie Männer Frauen in Hollywoodfilmen ansehen, nachdem sie ihnen die Brille abgenommen und ihr Haar gelöst haben. Er sagte: »Es ist ein wunderbares Stück, meinst du nicht auch?«
»Sehr aufregend. Ich habe es in London gesehen. Aber ich werde froh sein, wenn es vorbei ist. Ich mag die Art, wie die Sache hier läuft, überhaupt nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Oh, nichts Bestimmtes. Hier fehlt irgendwie das gute Gefühl. Und ich sehne mich danach, endlich Wanja machen zu können. Ich liebe Tschechow, du auch, Nicholas?« Sie sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Selbst im Kirschgarten war nach allem, was Harold dem Stück angetan hatte... immer noch soviel von Tschechow zu spüren.«
»Dierdre...« Nicholas folgte ihr um die Kulissen herum, als sie mit dem Schreibbrett in der Hand die Requisiten für den ersten Akt durchging. »Warum zum Teufel... ich meine... du solltest bei einer anderen Truppe arbeiten. Wo du wirklich etwas machen kannst.«
»Es gibt aber keine. Die nächste ist in Slough.«
»Das ist doch nicht weit.«
»Du mußt aber irgendwie hinkommen. Ganz besonders abends. Und ich kann mir kein Auto leisten. Außerdem kann ich meinen Vater nicht allein lassen. Ich muß jemanden dafür bezahlen, daß er ihm Gesellschaft leistet, während ich im Theater bin.«
»Oh, ich verstehe.« Er sah plötzlich einen gähnenden Abgrund aus Einsamkeit, kreativer Vorstellungskraft, die nach Ausdruck hungerte und fast an den unrealisierten Träumen erstickte - was ihn zutiefst beschämt und verlegen machte. Er fühlte sich, als wäre er einem dieser schrecklichen Menschen begegnet, die unaufgefordert ihre Kleidung hochhoben, um einem ihre Operationsnarben zu zeigen. Da er sich jedoch der Ungerechtigkeit dieses Vergleiches bewußt war, sowie auch der Banalität seiner folgenden Bemerkung, nuschelte er nur: »Ein Jammer, Dierdre«, und ging wieder auf die Bühne zurück. Hier, mehr um einen unbehaglichen Moment zu überbrücken als aus irgendeinem anderen Grund, hob er das Päckchen auf.
»Hat jemand Harold eine Bombe geschickt?«
»Mühsam als Buch getarnt.«
Nicholas hob das braune Papier an, das nur leicht mit Tesafilm zusammengeklebt war, um einen Blick hineinzuwerfen.
»Tu das nicht!« rief Dierdre. »Er wird behaupten, daß jemand versucht hat, es zu öffnen. Und er wird bestimmt mich dafür verantwortlich machen.«
Aber Harold schien an dem Päckchen gar nichts aufzufallen. Er kam später als gewöhnlich und zog gerade seine Regieschuhe mit Monogramm an, als Dierdre ihm das Buch gab. Es hatte eine Zeit gegeben, da zog Harold seine Fußbekleidung stets während der Proben aus, wobei er erklärte, daß er nur so den wahren Geist des Stückes erfassen könnte. Dann aber hatte er ein Fernsehinterview mit einem berühmten amerikanischen Regisseur gesehen, in dem der bekannte Mann geäußert hatte, daß Menschen, die ihre Schuhe ausziehen müßten, um Regie zu führen, wichtigtuerische Pseudointellektuelle wären. Harold konnte ihm darin zwar nicht zustimmen, aber für den Fall, daß auch andere Mitglieder der Truppe dieses Interview gesehen hatten, bedeckte er seitdem seine Füße.
Als er das Päckchen nahm, rief Rosa, »Oooohh, seht mal... Harold hat ein Geschenk bekommen.« Und alle umringten ihn.
Das Geschenk erwies sich indes ein wenig als Enttäuschung. Es war nichts Ungewöhnliches oder Aufregendes. Nichts, was mit Harolds einzig wahrer Leidenschaft zu tun gehabt hätte. Es war ein Kochbuch. Floyd über Fisch. Harold sah es verdutzt an. Jemand fragte, wer es geschickt hatte. Er blätterte die Seiten durch, drehte das Buch um und schüttelte es. Keine Karte.
»Ist denn nichts reingeschrieben?« erkundigte sich einer der Everards nuschelnd. Harold schlug die ersten Seiten auf und schüttelte den Kopf. »Wie ungewöhnlich.«
»Warum sollte dir jemand ein Rezeptbuch schicken?« fragte Rosa. »Du interessierst dich doch überhaupt nicht fürs Kochen, oder?«
Harold schüttelte wieder den Kopf.
»Aber wenn du damit mal anfangen solltest«,
Weitere Kostenlose Bücher