Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
war, öffentlich Zuneigung für jemand anderen zu zeigen.
Dann, als seine Augen weiterwanderten, bekam Nicholas einen Schock. Etwas abseits saß Rosa, die sich offensichtlich unbeobachtet glaubte; sie starrte Esslyn und dessen Frau an. Auf ihrem Gesicht drückte sich blanker Haß aus. Nicht ein Muskel bewegte sich, und ihr Gemütszustand war derart konzentriert, derart extrem, als würde sie eine Maske tragen. Dann aber bemerkte sie Nicholas’ Blick, senkte die verbitterten Augen und wurde sofort wieder sie selbst. So war ihm diese Episode jedenfalls zuerst vorgekommen, doch als Rosa eine halbe Stunde später ihren üblichen hektischen Abgang nahm (der Schal schwebte um ihren Hals, und sie ließ das Skript fallen, warf sich ihren Madame-Ranjewskaja-Mantel um und rief: »Nacht, Nacht, meine Engel«), war er beinahe davon überzeugt, daß er sich das alles bloß eingebildet hatte.
Das Buch kam etwa eine Woche vor der Kostümprobe an. Dierdre fand im Foyer auf dem Boden ein kleines, ordentlich in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen. Es lag direkt unter dem Briefkasten an der hölzernen Fassung der Glastür. Sie drehte das Päckchen um und hielt inne. Auf der Vorderseite standen in handgeschriebenen Großbuchstaben die Worte HAROLD WINSTANLEY. Sie legte es oben auf ihren Korb und machte sich auf den Weg in den Vereinsraum, um ihre beiden Milchflaschen, den Tee und die Zuckervorräte auszupacken. Als sie hereinkam, huschte Riley auf sie zu, um sie zu begrüßen. Sie stellte die Milchflaschen in einen Topf mit kaltem Wasser, dann beugte sie sich vor und kraulte seine Ohren. Er erlaubte ihr das so lange, bis ihm klar wurde, daß sie keine Geschenke mitgebracht hatte; dann streckte er den Schwanz in die Luft und spazierte davon. Dierdre beobachtete traurig, wie er ging, und sie wünschte sich, er wäre nicht so geizig mit seiner Zuneigung gewesen. Nur Avery bekam die ganze Zuwendung - umstreichen, an den Beinen schubbern, kleine »mmrrrrs« der Zufriedenheit -, denn er brachte ihm das Essen mit. Er schleppte immer Fischreste oder »Backen« für den Kater an, die Riley dann von seinem Teller stibitzte, um sie in aller Ruhe zu verspeisen. Dierdre stolperte permanent über die bläulichweiß schimmernden Grätengerüste, die übrigblieben.
Er war ein hübscher Kater. Weiße Brust und Söckchen, zweifarbiger Schnurrbart und eine weiße Schwanzspitze. Der Rest seines Fells war schwarz und hatte früher wie gerade erst geförderte Kohle geglänzt, war aber inzwischen etwas stumpfer und grauer geworden, was ihn ein wenig heruntergekommen wirken ließ. Er war ein Vollblutkater mit einer haarlosen Stelle über dem einen Auge, die jedesmal, wenn sie gerade wieder zugewachsen war, ein weiteres hartes Abenteuer in ihren wunden Zustand zurückversetzte. Er hatte leuchtend smaragdgrüne Augen, und wenn das Theater dunkel war, konnte man diese zwischen den Sitzreihen umherwandern sehen.
Keiner wußte, wie alt er war. Riley war vor zwei Jahren aufgetaucht, als er plötzlich während eines Durchlaufs von Französisch ohne Tränen über die Bühne streunte. Die enorme, fast magische Dramatik seines Erscheinens hatte sofort jeden ergriffen. Er bekam kräftigen Applaus, ein Stück Schellfisch (Dierdre wurde zu Adelaide’s geschickt) und war augenblicklich adoptiert worden. Obwohl er keine Möglichkeit hatte, es in vielen Worten auszudrücken, war es aber nicht das, was er eigentlich gesucht hatte. Denn eigentlich sehnte sich Riley nach einem orthodoxeren Wohnsitz. Er war äußerst enttäuscht, als das Wohnzimmer von Französisch ohne Tränen, kurz nachdem er sich dort eingerichtet hatte, wieder verschwand, nur um einige Wochen später in einer völlig anderen Anordnung wieder zu erscheinen. Das war wirklich nicht sein Ding. Er träumte von einem gewöhnlichen, sogar langweiligen Zuhause, in dem die Möbel blieben, wo sie waren, mit nur einem Menschen, der ihm mehr oder weniger unablässig seine Verehrung bezeugte. Er hatte mehrmals versucht, Avery zu folgen, wenn dieser das Theater verließ, wurde aber immer wieder kurz darauf zurückgebracht. Dierdre, die liebend gerne ein Haustier gehabt hätte, hätte ihn ja mit zu sich nach Hause genommen, aber ihr Vater reagierte sowohl auf Fell als auch auf Federn allergisch.
Nachdem sie jetzt den Tee und den Zucker ausgepackt und die Tassen rausgestellt hatte, machte sich Dierdre auf den Weg in den Zuschauersaal, um die Bühne für den ersten Akt vorzubereiten. Da
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