Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
Blutspritzer. Sein Haar und seine Hände waren rot, die Krawatte durchtränkt, das Hemd verschmiert. Seine Knie und die Schuhe schimmerten rot. Rote Tränen rollten ihm über die Wangen.
Barnaby machte kehrt und wies Troy an: »Lehnen Sie sich nicht gegen die Wand. Gehen Sie ans Telefon und veranlassen Sie alles Notwendige.« Während sich Troy wie ein Schlafwandler in Bewegung setzte, rief er: »Nichts mit bloßen Händen anfassen, Sie verdammter Idiot. Benutzen Sie das Autotelefon. Und öffnen Sie die Tür nicht noch einmal ohne ein Taschentuch. Man könnte meinen, Sie wären erst fünf Minuten und nicht fünf Jahre bei der Polizei.«
»Entschuldigung«, murmelte Troy und zog ein Taschentuch aus der Tasche.
Barnaby bahnte sich einen Weg zu den beiden Gestalten in der Mitte des Zimmers und setzte seine Füße behutsam auf die nicht befleckten Stellen, die er auf dem Teppich entdecken konnte.
Wie konnte ein einziger Mensch so viel Blut vergießen? Das Ganze wirkte beinahe wie eine Bühneninszenierung. Als hätte ein übereifriger Regisseur das rote Zeug eimerweise in die Kulisse gekippt, um ein Schauerstück im Grand Guignol aufzuführen. Und am merkwürdigsten war, daß Barnaby trotz all der Ungläubigkeit und des Entsetzens, die dieser Anblick auslöste, spürte, wie etwas in seinem Gedächtnis zum Leben erwachte. Déjà vu. Aber wie konnte das möglich sein? Sicher hatte er noch nie etwas erlebt, was auch nur im entferntesten an diesen Alptraum herankäme - so etwas konnte man doch nicht vergessen, oder?
»Mr. Rainbird?« Er bückte sich, und eine weitere Welle der Übelkeit überrollte ihn, als er sah, daß nur noch Dennis Rainbirds Arm den Kopf seiner Mutter auf den Schultern hielt. Ihre Kehle war so weit durchgeschnitten, daß Barnaby den bläulich weißen Knorpel der durchtrennten Luftröhre erkennen konnte. Sie hatte im ganzen Gesicht, am Hals und an den Armen Schnitte, und ihr Kleid war aufgeschlitzt.
Ein heilloses Durcheinander herrschte in diesem Zimmer, Fotografien waren umgefallen, Bilder von den Wänden gerissen, Kissen, Polster und Nippes über den Boden verstreut, zwei Tische umgekippt und der Fernseher zertrümmert. Graue Glasscherben lagen überall herum.
»Mr. Rainbird«, sagte Barnaby noch einmal und berührte ihn sanft. Als hätte diese Geste einen versteckten Mechanismus aktiviert, fing der junge Mann wieder an zu winseln. Er lächelte - es war ein strahlendes irres Lächeln. Denselben Abklatsch von glückseliger Wonne konnte man auf den Gesichtern von Menschen beobachten, die ein Erdbeben überlebt hatten, oder auf denen von Eltern, die vor ihrem brennenden Haus stehen. Eine versteinerte Maske tiefer Trauer und Verzweiflung.
Knappe zwanzig Minuten vergingen, dann sagte eine Stimme: »Guter Gott...« Barnaby richtete sich auf. George Bullard stand im Flur. Er hatte eine schwarze Tasche in der Hand und sah sich entgeistert um. »Was, zur Hölle, ist hier los?«
»Passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
Der Doktor starrte die beiden reglosen Gestalten einen Moment mitleidig und angewidert zugleich an, dann suchte er sich vorsichtig einen Weg, kniete sich nieder und öffnete seine Tasche. Barnaby sah zu, wie er die Manschette von Dennis Rainbirds rotverfärbtem Hemd aufschnitt und das zarte Handgelenk umfaßte.
»Wie lange ist er schon in diesem Zustand?«
»Wir sind ungefähr vor dreißig Minuten eingetroffen. Ich schätze, da saß er bereits seit einer halben Stunde so da. Haben Sie einen Krankenwagen bestellt, bevor Sie herkamen?«
»Mmm.« Der Arzt leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe in Dennis’ Augen. Der junge Mann blinzelte nicht einmal.
»Müßte gleich hier sein.«
»Ich muß unbedingt mit ihm reden, es ist wichtig.«
»Um Himmels willen, Tom, seien Sie doch vernünftig. Der Mann ist vollkommen geistesabwesend.«
»Das sehe ich selbst. Können Sie ihm nicht irgend etwas geben?«
»Nein.« George Bullard stand auf. »Er ist in diesem Zustand besser dran, ganz bestimmt.«
»Wie lange dauert so ein Zustand an?«
»Einen Tag. Einen Monat. Sechs Monate. Das kann man nie wissen.«
»Genau das hat mir noch gefehlt.«
»Tut mir leid.«
Barnaby sah durch die Gardinen, daß der Krankenwagen, gefolgt von drei Polizeiautos, vorfuhr. Die Menge murmelte aufgeregt. Die Sanitäter, vermutlich schon durch die vielen Unfallopfer, die sie von der Straße kratzen mußten, gegen den Anblick von
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