Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
Rückzug aus der Kommune dachte, rief sie sich des Meisters Maxime in Erinnerung, daß alles, was sie zu ihrem eigenen Wohlbefinden brauchte, nicht draußen im Äther oder in der Psyche eines anderen Menschen zu finden war, sondern in ihrem eigenen Herzen. Ihrer Einschätzung nach führte dies zu einem harten und einsamen Dasein, zumal sie sich in ihrem Leben schon oft genug einsam gefühlt hatte. Während sie über all das nachdachte, ertönten draußen Schritte. Suhamis Finger zitterten auf dem Holzstuhl.
Christopher beugte sich über die Scheunentür und fragte: »Wie geht es meinem Mädchen?«
»Sie hat wieder Apfel gefuttert.«
Wie immer verwirrte und erfreute sie sein Anblick. Das weiche schwarze Haar, die blasse glatte Haut, die leicht schrägstehenden graugrünen Augen. Sie wartete, bis er »Und wie geht es meinem anderen Mädchen?« sagte, was er sich im Lauf der Zeit angewöhnt hatte. Unerwarteterweise schob er einfach die Scheunentür auf, ging zu Calypso hinüber, schnappte die Leine und sagte: »Komm schon, du altes fettes haariges Wesen.« Er hatte sie nicht mal richtig angelächelt, und falls Suhami sich nicht beeilte, waren die beiden gleich über alle Berge.
Suhami fragte: »Möchtest du mir nicht zum Geburtstag gratulieren?«
»Tut mir leid. Selbstverständlich will ich das, Liebes.« Er wickelte die Leine um sein Handgelenk. »Alles Gute zum Geburtstag.«
»Und seit einer Woche hast du mir nicht mehr deine unsterbliche Liebe erklärt. Das reicht nicht.«
Während sie sich bemühte, ihre Worte scherzhaft und ihre Stimme ganz gewöhnlich klingen zu lassen, hörte Suhami das Echo Hunderter ähnlicher Fragen in Hunderten von ähnlichen Szenen. Möchtest du nicht für einen Moment reinkommen? Werde ich dich Wiedersehen? Willst du über Nacht bleiben? Wirst du mich anrufen? Mußt du schon gehen? Liebst du mich... liebst du mich... liebst du mich? Und sie dachte: O Gott - ich habe mich überhaupt nicht geändert. Und das muß ich. Muß ich. So kann ich nicht weitermachen.
»Ich weiß, du sagst es nur aus Spaß...« Ihr fiel auf, wie flehend sie klang, und sie haßte sich dafür.
»Das ist nie Spaß gewesen.« Seine Stimme klang harsch, als er an Calypsos Leine zog. »Ich sagte, komm jetzt...«
»Nie...« Suhami stand auf; ihr war schwindlig. Sie starrte ihn ungläubig an. »Du hast das nie im Spaß gesagt? Was war es dann?«
»Ist das wichtig?«
»Christopher!« Von Gefühlen übermannt, rannte sie zu ihm, stellte sich ihm in den Weg. »Was meinst du damit? Du mußt mir sagen, was du damit meinst.«
»Es hat keinen Sinn.«
»Die Dinge, die du gesagt hast...« Nahezu erhaben berührte sie sein Kinn, drehte sein Gesicht in ihre Richtung, zwang ihn, sie anzusehen. »Ist das wahr gewesen?«
»Du hättest mir sagen müssen, wer du bist.«
»Aber ich bin das hier.« Flehend streckte sie die Hände aus. »Dieselbe Person, die ich gestern war...«
»Du begreifst nicht. Ich habe mich in jemanden verliebt, und nun stellt sich heraus, daß sie jemand anderer ist. Ich mache dir keine Vorwürfe, Suze - Sylvie -«
»Nenn mich nicht so!«
»Ich bin fix und fertig. Du kennst meine Situation. Ich besitze nichts. Nun, jedenfalls nichts im Vergleich zu den Gamelins -«
»O Gott!« rief Suhami und wich zurück, als habe er ihr einen Schlag verpaßt. »Werde ich mein ganzes Leben lang damit fertig werden müssen? Gamelin, Gamelin, Gamelin... Ich hasse diesen Namen. Ich würde ihn mit einem Messer auskratzen, wenn es möglich wäre - ich würde ihn ausbrennen. Weißt du, was dieser Name für mich bedeutet? Kälte, Ablehnung, Mangel an Liebe. Du hast meine Eltern nie kennengelernt, aber ich sage dir, daß sie häßlich sind. Interessieren sich nur für Geld. Wie man es verdient, wie man es ausgibt. Sie essen und atmen und träumen davon und leben es. Ihr Haus ist gräßlich. Mein Vater ist ein monströser Mann, meine Mutter eine überstylte Marionette, die mit Pillen und Alkohol am Leben gehalten wird. Ja, ich heiße Sylvia Gamelin, und das ist mein verdammtes Verderben...« Dann brach sie in Tränen aus.
Einen Augenblick lang schien Christopher keine Erwiderung einzufallen. Dann trat er einen Schritt vor und schloß sie in die Arme. Später, als er ihre Tränen trocknete, sagte er: »Du darfst nie, nie wieder so weinen.«
* 2
Guy und Felicity Gamelin standen im Türeingang ihres oft fotografierten Stadthauses
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